NICHT ICH  - SONDERN CHRISTUS IN MIR

Fleisch oder Geist?

 

Das Thema von Römer 7 ist „der Mensch in sich selbst“, das Thema von Römer 8 „Der Mensch in Christus“.

„Der Mensch in sich selbst,“ d.h. der Mensch, wie er seine Lebensquelle und sein Lebenselement in sich selbst hat, steht unter dem Gesetz (7,1-4), ist „im Fleisch“ (7,5), getötet (7,11-13), fleischlich, unter die Sünde verkauft (7,14), gefangen in der Sünde Gesetz (7,23). Der Mensch „in Christus“ steht außerhalb des Verdammungsurteils (8,1), ist befreit von dem Gesetz der Sünde und des Todes (8,2), geistlich gesinnt (8,5), weil Gottes Geist in ihm ist (8,11), ist Gottes Kind (8,14 ff.).

 

Kapitel 7 hat den Wandel nach dem Fleisch gezeigt, Kapitel 8 zeigt den Wandel nach dem Geist.

 

Was heißt nach dem Fleisch wandeln? In Kapitel 7 kommt ungefähr fünfzigmal das Wort Ich vor, nicht einmal der Heilige Geist, Christus nur am Schluss, Vers 25, in dem Wort, welches die Antwort aus Kapitel 8 vorwegnimmt. Dagegen in Kapitel 8,1-15 kommt das Wort Ich überhaupt nicht vor, Christus Jesus achtmal und der Heilige Geist fünfzehnmal.

 

„Nach dem Fleisch wandeln“ heißt, „das eigene Ich zur Grundlage seiner Beziehungen zu Gott machen oder im weitesten Sinn „das eigene Ich zur Grundlage seines Lebens überhaupt machen“. Hier liegen die Ursachen all unserer Konflikte und all unseres Verderbens. Wir wandeln nach dem Fleisch, z.B. in der Ehe. Der Mann hat bestimmte Vorstellungen, welche Befriedigung er von der Ehe erwartet; die Frau hat ebenso bestimmte Vorstellungen, welche Befriedigung sie von der Ehe erwartet. So dreht sich jeder um seine Idee, und keines hat groß acht, ob das andere auch seine Befriedigung findet. Wo diese um die zwei verschiedenen Mittelpunkte kreisenden Interessen sich kreuzen, da kracht es. Das ist das Gegenteil von dem, was wir in Epheser 5,25 ff. finden. Das Ich ist der Drehpunkt. Ebenso ist es im Familienleben zwischen Eltern und Kindern. Wir wandeln nach dem Fleisch im sozialen Leben. Der Arbeitgeber stellt die Ansprüche fest, die sein Ich machen zu können glaubt; der Arbeitnehmer stellt die Ansprüche fest, die sein Ich machen zu können glaubt. Nun kommt die Maschine in Gang, jedes Rad dreht sich um sein Ich, unbekümmert um die anderen Räder; wo sie sich kreuzen, da kracht es zusammen. So die Konkurrenz der Arbeitgeber untereinander, der Arbeitnehmer untereinander, so im Geschäftsleben, in der Politik, auf allen Gebieten. Aller Gott heißt „Ich“, aber es sind so viel Götter wie Menschen; alle haben das Ich zur Grundlage ihres Lebens gemacht. Mögen sie auch noch so fromm und wohltätig und aufopfernd sein. Wandel nach dem Fleisch! Dasselbe im kirchlichen Leben, im Gemeinschaftsleben, in der Arbeit für den Herrn.

 

Aber bei dem Wandel nach dem Fleisch in Römer 7 handelt es sich um etwas anderes. Der Mensch hat das eigene Ich zur Grundlage seiner Beziehungen zu Gott gemacht. Römer 7 handelt nicht von gottlosen Menschen, sondern von Menschen, welche alle Kraft einsetzen, um sich den Klauen des Gesetzes, das in ihren Gliedern ist, zu entziehen und für Gott heilig zu sein, ganz gleichgültig, ob sie bekehrt sind oder nicht. Aber sie tun es auf dem Boden des eigenen Ich: „In mir wohnt die Sünde, in mir wohnt nichts Gutes, ich will das Gute tun. Ich elender Mensch!“

 

Das ist der Wandel nach dem Fleisch, dass der Mensch in sich selbst eine Quelle des Lebens sucht statt im Weinstock, dass der Mensch seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachtet, statt sich in der Gerechtigkeit Jesu zu freuen, dass der Mensch an sich selbst und seiner Ohnmacht und Erbärmlichkeit hängen bleibt, statt in der Kraft und Herrlichkeit Jesu zu leben, dass der Mensch sein eigenes Ich zu bessern oder zu kreuzigen sucht, statt es in Jesus gekreuzigt zu sehen.

 

Weil ich fleischlich bin, weil ich mit meinem Ich rechne, bin ich unter die Sünde verkauft, denn wie könnte mein Ich, und wenn es noch so fromm würde, je mit der Sünde fertig werden! Selbst das heilige Gesetz Gottes steht vor lauter Unmöglichkeiten, weil es durch das Fleisch geschwächt ist, weil es sich wendet an das Ich des Menschen, an das, was der Mensch ist und kann.

 

„Fleischlich sein“ heißt, sich mit sich selbst beschäftigen. „Die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt,“ d.h. die das Ich zur Grundlage ihrer Beziehungen zu Gott machen, die durch ihr Ich bestimmt sind, die sinnen auf das, was des Fleisches ist, die drehen sich mit ihrem ganzen Sinnen und Denken, auch mit ihrem frommen Sinnen und Denken, immer wieder nur um sich selbst und kommen nicht los von sich selbst.

Diese Fleischesgesinnung ist Tod. „Das Streben und Trachten des Fleisches ist Tod.“ Das „für sich begehren“ ist Tod. Das Hängenbleiben an sich selbst, sei es an der eigenen Frömmigkeit, sei es an der eigenen Erbärmlichkeit, ist Tod. Das „Sich in seinen Gedanken mit seinem Ich beschäftigen“ ist Tod. Das „Von sich selbst etwas erwarten“ ist Tod. Das Ich in all seinen Gestaltungen und Betätigungen ist Tod und dem Tode verfallen und kann nur Tod wirken, auch wenn es sich mit der größten Heiligkeit und Tugend schmückt. Sich mit dem Ich beschäftigen führt entweder zur Selbstgerechtigkeit oder zur Verzweiflung, und beides ist Tod.

 

Die Fleischesgesinnung ist Feindschaft gegen Gott. „Ihr werdet sein wie Gott,“ wenn ihr euer Ich zur Geltung bringt, euch selbständig macht Gott gegenüber. Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht strafen lassen, denn sie sind Fleisch, „aufgeblasen“ in ihrem fleischlichen Sinn. Was nichts ist, hat Gott erwählt, dass er zunichte machte, was etwas ist, auf dass vor ihm kein Fleisch sich rühme; denn viele rühmen sich nach dem Fleische, nach dem, was sie selbst sind. 

 

„Wir wandeln nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist.“ Was heißt nach dem Geist wandeln? Wörtlich „gemäß dem Geist“, in den Linien des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist hat eine bestimmte, scharf umrissene Tendenz, die in drei parallelen Linien läuft. Die erste ist: Er wird überführen von der Sünde. Ich wandele nach dem Geist, wenn ich mich durch den Heiligen Geist überführen lasse von meiner Sünde, von meiner ganzen Nichtigkeit. Die zweite Linie zeigt Jesus ebenso klar und scharf mit den Worten: „Derselbe wird mich verklären; denn von dem Meinen wird er es nehmen und euch verkündigen.“ Der Heilige Geist hat die Tendenz, uns Jesum zu verklären, zu offenbaren und die Fülle dessen zu erschließen, was in Jesus uns geschenkt ist, es uns zuzueignen, indem er es unserem Glauben so vor Augen stellt, dass wir es nehmen können. „Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird es von dem meinen nehmen und euch verkündigen.“ Der Heilige Geist stellt uns in ein vollbrachtes Werk: „Absolut kein (betont an den Anfang gestellt im Grundtext) Verdammungsurteil nun jetzt für die, welche in Christus Jesus sind.“

 

Nach dem Geist wandeln heißt: Nicht das Ich, sondern Jesus Christus zur Grundlage meiner Beziehungen zu Gott machen und ebenso zur Grundlage meiner Beziehungen zur ganzen Schöpfung. „Gottes Geist wohnt in euch“ und „Christus in euch“ ist beides eines.

Die dritte Linie, in der die Tendenz des Heiligen Geistes läuft, zeigen uns die Apostel, z.B. Paulus: „Der Geist, der da heiligt,“ der aussondert, in Besitz nimmt. Er heiligte den Sohn Gottes, nahm ihn in Besitz zum Geopfert- und Geschlachtetwerden. Und er heiligt Menschen, nimmt sie in Besitz für Jesus und wacht eifersüchtig darüber, dass restlos alles in dir in den Besitz Jesu kommt. Nach dem Geist wandeln heißt „sich vom Heiligeln Geist für Jesus in Besitz nehmen lassen“, weil der Heilige Geist mir Jesum verklärt, offenbart in seiner Herrlichkeit, in seinem vollbrachten Werk, in der Fülle alles dessen, was Jesus mir erworben hat und was Jesus für mich ist.

 

„Die da geistlich sind, die sind geistlich gesinnt,“ wörtlich: „die gemäß dem Geist sind“, die der Tendenz des Heiligen Geistes folgen und von ihm sich Jesum verklären und offenbaren lassen, die sinnen auf das, was des Geistes ist, d.h. sie drehen sich mit ihrem ganzen Sinnen und Denken nicht um sich selbst, sondern um Christus und gründen sich immer ausschließlicher auf ihn. Sie werden immer unabhängiger von ihren eigenen Gefühlen und Zuständen und lassen sich durch den Heiligen Geist die Fülle Christi immer tiefer erschließen.

 

„Dieses Sinnen des Geistes ist Leben, Frieden.“ Mit dem Ich sich beschäftigen ist Tod; da sind keine Lebensquellen. Die Seele versenkt sich in Nacht und Grauen, verfällt der Selbstzermarterung – oft genug geht auch der Leib dabei zugrunde. Mit Christus sich beschäftigen, ihn erkennen, macht so froh und frei.

„Das ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Sind wir von Christus erfüllt, so mag der Leib zerfallen und Gottes Gericht über die Sünde in ihm sich auswirken, der Geist ist Leben, ist ewigen Lebens teilhaftig, denn er lebt nicht aus irgendeiner menschlichen, durch das Ich produzierten Gerechtigkeit, sondern aus der Gerechtigkeit, die Christus für mich ist. 

 

Dieses Gottesleben, das die erfüllt, welche nach dem Geist wandeln, ist so real, dass nicht nur aller Fleischeswandel, sondern auch die Frucht des Fleischeswandels, der leibliche Tod, verschlungen wird. Der in ihnen wohnende und sie seiner Tendenz gemäß in Jesum pflanzende Heilige Geist verbindet sie so real nicht nur mit dem Auferstandenen, sondern auch mit dem, der ihn auferweckt hat, dass auch sie auferweckt werden, dass auch ihre sterblichen Leiber an diesem Gottesleben teil bekommen und lebendig gemacht werden, eigentlich „als lebende Wesen hervorgebracht werden“ – eine Wiedergeburt des Leibes. Gott, der Auferwecker, ist der Wiedergebährende für den ganzen Menschen nach Geist, Seele und Leib in denen, in welchen sein Geist wohnt und zum Wandel nach dem Geist führt.

Auszug aus "Nicht ich, sondern Christus in mir" von Johannes Lohmann