Was Weihnachten bedeutet

 

...der offenbart worden ist im Fleisch... (1. Timotheus 3,16)

 

Wir lassen uns leicht von der Begeisterung für dieses Winterfest mitreißen und vergessen dabei, dass sein romantischer Reiz das Unwichtigste daran ist. Der theologische Gehalt von Weihnachten geht in der ganzen farbenfrohen Verpackung nur zu leicht verloren. Aber ohne seinen theologischen Inhalt ist dieses Fest bedeutungslos. Ein halbes Dutzend Weihnachtslieder, die im Einklang mit der gesunden Lehre stehen, erhalten die große, tiefe Wahrheit von der Menschwerdung Jesu am Leben, aber abgesehen davon ist die volkstümliche Weihnachtsmusik frei von jeder echten, bleibenden Wahrheit. In England ist es die Maus, die sich ganz still verhielt, in Deutschland der schöne, grüne Tannenbaum und in Amerika das rotnasige Rentier, das sonst nichts vorzuweisen hat. Diese Bilder und Figuren beherrschen weihnachtliche Gedichte und Lieder. Gemeinsam mit dem fröhlichen, alten Weihnachtsmann haben sie die christliche Theologie beinahe ganz verdrängt.

 

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Gemeinde Jesu die Verwalterin einer ernsten und eindringlichen Wahrheit ist, deren Bedeutung nicht stark genug betont werden kann. So unermesslich und unbegreiflich ist diese Wahrheit, dass sogar ein Apostel gar nicht erst versuchte, sie zu erklären, sondern bloß überrascht ausrufen konnte:

 

Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Der offenbart worden ist im Fleisch, gerechtfertigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit (1. Timotheus 3,16)

 

Diese Botschaft versucht die Gemeinde Jesu der Menschheit zu vermitteln, aber heutzutage ist ihre Stimme schwach und verhallt fast unhörbar im überlauten, kommerziellen Getöse von "Stille Nacht". Es mutet schon seltsam an, dass so viele Menschen so begeistert von Weihnachten sind und so wenige innehalten, um nach der wahren Bedeutung dieses Festes zu fragen. Aber ich glaube, dieses eigenartige Phänomen steht im Einklang mit der beklagenswerten Gewohnheit von uns Menschen, Belangloses aufzubauschen und Themen von größter Tragweite einfach zu übersehen. Derselbe Mann, der vor dem Beginn einer Fahrt sorgfältig die Autoreifen überprüft und die Landkarte konsultiert, befindet sich auf seiner Lebensreise vielleicht auf einem Weg, auf dem es kein Zurück mehr gibt. Trotzdem hält er nicht inne, um sich zu fragen, ob er sich in die falsche oder die richtige Richtung bewegt.

 

Befreit von ihren heidnischen Untertönen ist die christliche Botschaft relativ einfach, denn dann lautet sie: Gott ist als Mensch auf die Erde gekommen. Um diesen einen Glaubenssatz dreht sich die gesamte Frage nach der Bedeutung von Weihnachten. Entweder Gott ist gekommen oder nicht, und auch eine riesige Flut von sentimentalen Gedanken und romantischen Bräuchen kann weder das eine noch das andere beweisen.

 

In der Zeit der Apostel wollten bestimmte Gelehrte nicht einsehen, dass Jesus tatsächlich Gott war, offenbart im Fleisch. Sie waren zwar bereit, mit salbungsvollen Worten zu beschreiben, wie herrlich Jesus als Mensch war, aber sie wollten nichts von seinem göttlichen Wesen wissen. Ihre eigene Philosophie erlaubte ihnen nicht zu glauben, dass sich Gott mit der menschlichen Natur verbinden könnte. Für sie war Materie grundsätzlich böse. Gott, der unfehlbar heilig ist, konnte nach der Auffassung dieser Lehrer niemals eine Verbindung mit dem Bösen eingehen. Das menschliche Fleisch ist Materie, und deshalb könne Gott nicht Mensch geworden sein.

 

Natürlich könnte man diese negative Lehre ganz einfach widerlegen. Man müsste beweisen, dass die wichtigste Grundannahme über die grundsätzliche Sündhaftigkeit der Materie ein Irrtum ist, und das ganze Gedankengebäude würde wie ein Kartenhaus einstürzen. Aber dann würde man ein Argument gegen das andere ausspielen und das Geheimnis der Gottesfurcht aus dem Bereich des Glaubens herauslösen und es lediglich zu einer religiösen Philosophie machen. In diesem Fall hätten wir einen rein verstandesmäßigen Glauben mit einem dünnen christlichen Anstrich. Wie lange würde es dauern, bis sich diese Schicht abnutzt und uns nur noch der Verstand bleibt?

 

Obwohl der Glaube auch unseren Verstand umfasst, ist er im Grunde seines Wesens eher eine moralische Haltung als eine intellektuelle Einstellung. Im Neuen Testament wird Unglaube als Sünde bezeichnet. Das wäre nicht der Fall, wenn der Glaube bloß eine auf Beweisen aufgebaute Erkenntnis wäre. Es gibt in der christlichen Botschaft nichts Unvernünftiges, dennoch richtet sie sich nicht hauptsächlich an die menschliche Vernunft. Zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmen Ort in der Geschichte wurde Gott Mensch, aber die Art, wie Jesus Christus das menschliche Gewissen anspricht, ist kein historisches Geschehen, sondern geschieht auf einer Ebene der Vertrautheit, direkt und persönlich.

 

Das Kommen Jesu in die Krippe zu Bethlehem war im Einklang mit seiner geheimen Gegenwart in der Welt. Schon in den Zeiten vor seiner Geburt war er das Licht, das jeden Menschen erleuchtet. Deshalb lässt sich die Lehre des Neuen Testaments über dieses Geschehen so zusammenfassen: Der Anspruch Jesu in Bezug auf seine Person ist selbstbestätigend und wird nur von denjenigen abgelehnt, die das Böse lieben. Wenn Jesus Christus in der Vollmacht des Heiligen Geistes verkündigt wird, ist es so, als ob ein Richterstuhl aufgestellt wird und jeder Zuhörer, jede Zuhörerin, durch seine bzw. ihre Reaktion auf die Botschaft gerichtet wird. Ein Mensch ist keiner Lektion in Religionsgeschichte gegenüber moralisch verantwortlich, sondern einer göttlichen Person, die ihm durch die Verkündigung gegenübertritt.

 

A.W. Tozer - Andacht 5. Tag "Vom Himmel her" Andachten für die Adventszeit