Keine freudige Erwartung ?
von A.W. Tozer
Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden, unvergänglich sein, und wir werden verwandelt werden. 1. Korinther 15,51-52
Wie schon erwähnt, ist die selige Hoffnung auf die Rückkehr Jesu Christi unter Christen so gut wie tot. Wenn heute über die Wahrheit des zweiten Kommens Jesu gesprochen wird, geschieht das meistens in einer akademischen oder politischen Diskussion. Das persönliche Element der Freude wird dabei vollständig ausgeklammert. Wo sind diejenigen, die singen: "Wir sehnen uns, mit dir zu sein, bei deiner Hochzeitsfreude. Oh Jesus, sieh, wir harren dein..."?
Die Sehnsucht, Jesus Christus zu sehen, brannte zwar in den Herzen jener ersten Christen, aber heute scheint dieses Feuer erloschen zu sein. Uns bleibt nur noch die Asche. Dabei ist es genau dieses "Sehnen" und "Harren", das die persönliche Hoffnung auf die Rückkehr Christi von einer theologischen Abhandlung unterscheidet. Die bloße Kenntnis über die richtige Lehre ist ein kläglicher Ersatz für die Person Jesu Christi. Deshalb kann man auch das Wissen über die Endzeitlehre des Neuen Testaments niemals gegen die von Liebe entflammte Sehnsucht, sein Angesicht zu sehen, austauschen.
Wenn dieses zärtliche Sehnen nach der Rückkehr Jesu heute ganz verschwunden ist, muss es dafür eine Ursache geben. Ich meine, den Grund oder die Gründe zu kennen, denn es gibt eine Vielzahl von ihnen. Eine Ursache ist, dass die bibeltreue Populär-Theologie den Schwerpunkt auf den Nutzen des Kreuzes legt statt auf die Schönheit dessen, der am Kreuz für uns gestorben ist. Die Beziehung eines erretteten Menschen zu Jesus Christus wird dadurch zu einem Vertragsverhältnis und verliert das Persönliche. Das "Werk" Jesu wird so stark betont, dass es seine Person in den Hintergrund drängt. Der stellvertretende Opfertod verdrängt meine Beziehung zu dem Stellvertreter. Das, was Jesus für mich getan hat, scheint wichtiger zu sein als das, was er für mich ist. Die Errettung wird zu einer geschäftlichen Transaktion, die wir "annehmen", ohne dass unsere Gefühle daran beteiligt sind. Aber wir müssen jemanden sehr lieben, damit wir wach bleiben und uns nach seinem Kommen sehnen. Das könnte eine Erklärung sein, warum die "Adventshoffnung" an Kraft verloren hat, sogar unter jenen Christen, die noch an die Wiederkunft des Herrn glauben.
Ein weiterer Grund für das Fehlen einer echten Sehnsucht nach der Rückkehr Jesu: Christen fühlen sich in dieser Welt so wohl, dass sie nur wenig Lust haben, sie zu verlassen. Für die christlichen Anführer, die im religiösen Leben den Ton angeben, ist das Christentum erstaunlich lukrativ geworden. Die goldenen Straßen im neuen Jerusalem verlieren ihren Reiz, wenn es so leicht ist, schon hier auf Erden im Dienst für den Herrn Gold und Silber anzuhäufen. Wir wollen die Hoffnung auf den Himmel in Reserve halten. Aber warum sollen wir etwas, das wir kennen, gegen etwas Unbekanntes austauschen, solange wir gesund sind und es uns gut geht? So argumentiert unser fleischliches Wesen, und zwar so geschickt, dass wir es kaum merken.
Noch einmal: In unseren Zeiten ist der Glaube zum Vergnügen geworden, hier in unserer heutigen Welt. Warum sollten wir es also eilig haben, in den Himmel zu kommen? Der christliche Glaube ist zu einer anderen und höheren Form von Unterhaltung geworden. Jesus Christus hat alles Leid auf sich genommen. Er hat alle unsere Tränen bereits vergossen und unser Kreuz getragen. Deshalb brauchen wir bloß noch die Vorteile zu genießen, die er uns mit seiner Seelenqual am Kreuz geschenkt hat. Also stürzen wir uns in religiöse Vergnügungen, gestaltet nach dem Muster der Welt, aber ausgeführt im Namen Jesu. Das behaupten zumindest dieselben Leute, die auch angeblich an die Wiederkunft Jesu glauben.
Aus der Geschichte lernen wir, dass Notzeiten für die Gemeinde Jesu auch Zeiten waren, in denen Christen den Blick nach oben richteten. Eine Zeit der Drangsal hat unter den Kindern Gottes immer eine gewisse Ernüchterung bewirkt und sie dazu bewegt, die Rückkehr ihres Herrn herbeizusehnen. Wenn wir uns heute so stark mit dieser Welt beschäftigen, könnte das eine Warnung für uns ein, dass bittere Zeiten auf uns zukommen. Gott wird uns so oder so von dieser Welt entwöhnen - wenn möglich auf die leichte Art, aber wenn nötig auch auf schmerzhafte Weise. Wir haben die Wahl.
(aus "Vom Himmel her" 6. Tag - Andachten für die Adventszeit von A. W. Tozer)