Otto Stockmayer

Gott will uns in Seine Kraft kleiden

 

Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jesaja 40,29

Er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen: denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. 2. Korinther 12,9

  

Der Herr führt uns auf allen Gebieten von Armut zu Armut, von Entblößung zu Entblößung, um uns auf Grund tieferer Erfahrung unserer Ohnmacht in seine Kraft kleiden zu können, damit es uns nicht einfalle, uns der Kraft, die Gott uns für seinen Dienst anvertraut hat, zu brüsten.

 

Selbst der Apostel Paulus hat in diesem Punkt seine Erfahrungen machen müssen - und vielleicht noch in ganz anderer Weise als unsereiner. Weil er ein solch auserwähltes Rüstzeug war, hat ihn der Herr durch tiefe Demütigungswege geführt, auf denen der starke, tatkräftige Mann gebrochen werden musste. Wer könnte sagen, was der Pfahl im Fleisch war, von dem der Apostel redet? Weil ihm so viel anvertraut wurde, weil er schon im Leib soviel Herrlichkeit schauen durfte, hat ihm Gott als Gegengewicht einen Pfahl ins Fleisch gegeben, damit er sich nicht überhebe, sondern klein und schwach in sich selbst bleibe, damit die Kraft nicht des Apostels, sondern Gottes sei, damit zwischen Göttlichem und Menschlichem heilige Scheidelinien gezogen bleiben. Es war keine Kleinigkeit für den Apostel, etwas an seiner Person mit sich herumzutragen, was scheinbar ein Ärgernis für seine Mitmenschen war, weil sie es nicht verstehen konnten, und was den Leuten, wenn er predigte und heilte, vielleicht soundso oft die Bemerkung entlockte: "Arzt, hilf dir selbst!"

 

Wir brauchen nicht auf alles zu antworten, sondern können ruhig abwarten, dass der Herr die Sachen klar macht. Allewege ist Paulus durch Schwächezustände, Nöte, Verfolgungen und Ängste aller Art gegangen, um ein schwacher Mensch zu bleiben, der keinen Kraftvorrat hatte, nicht aus eigener Fülle schöpfte, sondern in dessen Schwäche und Armut Gottes Kraft sich offenbarte.

 

Dazu braucht es Geistessalbung. Wir haben nicht einen Geist der Furcht empfangen, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht. Es braucht Geisteskraft und Geistesleben, um eine solche Lebensordnung auf sich nehmen zu können. Es braucht Gotteskraft, wenn ein Mensch in äußerster Schwachheit und Gebrochenheit mit einem Pfahl im Fleisch seinen Weg gehen soll. Um im Glauben vorwärtsgehen zu können, wenn man, anstatt an Kraft zuzunehmen, immer schwächer in sich selbst wird, dazu bedarf es der Einkleidung in den Geist Gottes. Die Nöte des Dienstes sind die Schule, in der die Kinder Gottes für die Herrlichkeit der oberen Welt erzogen werden.

 

Wenn du bei aller körperlichen Schwachheit und Gebundenheit nur frei bist, dem Herrn zu leben, und wenn du nur durch alle Triebe natürlicher Liebe und eigenen Eifers hindurch unterscheiden lernst, was dein Gott von dir getan haben will, für das du ihm dann aber auch zutraust, dass er dir, als ein Arzt, Leben und Kraft erneuern wird, so wirst du immer wieder erfahren, dass Gottes Kraft in unserer Schwachheit sich offenbart. Meine nicht, er müsse dir eine bewusste, greifbare Ausrüstung, einen Kraftvorrat mitgeben; gehe du nur deinem Lehrer nach und ehre ihn durch Glauben; in der Wüste, auf dem Wege des nackten Glaubens wird er dir mit neuer Gnade begegnen.

 

aus "Die Gnade ist erschienen" von Otto Stockmayer, 6. Dezember