Otto Stockmayer aus "Die Gnade ist erschienen"

Gott kann uns nicht unerprobt lassen

 

Führe uns nicht in Versuchung! Matthäus 6,13

 

Auf diese Bitte, die gewiss uns allen schon köstlich und unentbehrlich geworden ist, näher einzugehen, ist keine so leichte Sache. Ich sage, es ist gar nicht leicht, die verschiedenen Aussprüche der Heiligen Schrift über die Frage der Versuchung in vollen Einklang zu bringen. Vor allem geht schon aus Jakobus 1 hervor, dass das Wort "Versuchung" durchaus nicht überall die gleiche Bedeutung hat, dass es durchaus nicht immer das gleiche Gebiet umspannt, noch sich auf die gleichen Erfahrungen bezieht.

 

Man darf ja nur Vers 2 mit dem, was später kommt, vergleichen: "Achtet es für eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt!", sowie mit Vers 13 und 14: "Ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird." Wie können wir uns freuen, wenn wir in diesen Linien und nach dieser Richtung hin versucht werden? Wie sollen wir uns freuen, wenn irgend etwas von Lust und Sinnenreiz in den Tiefen unseres Wesens aufwacht oder aufgewacht ist? Es ist keine Ursache zur Freude, wenn auf diesem Gebiet und nach dieser Richtung hin Versuchungen auftauchen.

 

Dann wiederum jene andere Schwierigkeit, Vers 13: "Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde; Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen, er versucht niemand" - nämlich zum Bösen.

 

Gott hat Abraham versucht (erprobt, auf die Probe gestellt) - ein neuer Beweis, dass das Wort "Versuchung" verschiedenerlei Bedeutung hat. Das liegt ja schon in dem Text: "Gott kann nicht versucht werden zum Bösen. Er selbst versucht niemand"; aber er kann gerade seine Auserwählten, die er zum Aufbau seines Reiches gebrauchen will, nicht unerprobt lassen. Sie müssen durch Proben gehen und müssen in der Prüfungs-, in der Versuchungsstunde ausweisen, dass sie Gott um jeden Preis ehren wollen, selbst auf Kosten ihres eigenen Lebens.

 

Diese Art von Versuchung wollen wir auch nicht abweisen; von ihr können wir nicht erwarten, dass Gott sie uns erspare. Alles Gold muss im Feuer erprobt werden, wie Abraham über Morija gehen musste. Das war auch eine Feuerprobe, die Gott in Abrahams Weg legte, damit das reine Gold sich herausschäle zur Ehre Gottes des Vaters.

 

Gottlob kommt es ja in göttlichen Dingen nicht darauf an, dass die Sachen logisch formuliert werden, wenn wir nur lauteren Herzens aufnehmen, verstehen und verwerten, was das Wort Gottes uns sagt, sei es zu unserer Warnung oder zu unserer Ermutigung.

 

Andacht zum 06. Oktober