Otto Stockmayer

Glauben auf Hoffnung hin

 

Abraham hat geglaubt auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war, auf dass er würde ein Vater vieler Völker; wie denn zu ihm gesagt ist: "Also soll dein Same sein." Und er ward nicht schwach im Glauben, sah auch nicht an seinen eigenen Leib, welcher schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, auch nicht auf den erstorbenen Leib der Sara; denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern ward stark im Glauben und gab Gott die Ehre. Röm. 4, 18-20

 

Der tiefste Wesenszug des Glaubens besteht darin, dass wir, wie Abraham, nicht sehen auf das, was vor Augen ist. Nach den Gesetzen der Natur konnte er keinen Sohn mehr haben. Gott hatte die Zeit verstreichen lassen. Menschlich gesehen war die letzte Hoffnung entschwunden. Was muss das für Abraham gewesen sein: auf der einen Seite der innere Zwang, die Verheißung festzuhalten, auf der anderen Seite das Erfahren des sicheren, unaufhaltbar fortschreitenden Ersterbens der Leiber! Dieser innere Widerstreit zwischen der Welt des Glaubens und der sichtbaren Welt hat ohne Zweifel auf Abraham schwer gedrückt. Es war für ihn ein Hindurchgehen durch das Tal der Todesschatten, aber es hat an seiner Glaubensstellung nichts geändert. Abraham sah nicht an seinen erstorbenen Leib, sondern hielt sich an Gottes Wort, und also ward er stark im Glauben.

 

Schaue du, liebe Seele, nicht an dein erstorbenes Herz, deine Unempfindlichkeit, deine Marmorkälte! Lass nichts in dir selbst, weder Gutes noch Böses, deinen Blick fesseln; richte ihn auf deinen Gott und lass ihn ruhen auf dem, der dich mit seinem Blut erlöst hat! Gib Gott die Ehre, indem du nicht zweifelst an seinem Wort! Wisse aufs allergewisseste, dass Gott tut, was er verheißt, und verherrliche ihn dadurch, dass du mitten aus deinem Tod heraus dich stützest auf sein untrügliches, lebenbringendes Wort!

 

Ich weiß, was es ist: glauben, ohne zu fühlen, an dem Herrn zu hangen, wenn Nacht und Todesschatten die Seele umgibt. Ich weiß, was es heißt, zu verharren im nackten Glauben: es ist in der Tat ein Kampf auf Leben und Tod. Ich weiß, wie der Herr zerbrechen und zermalmen kann, wie er uns stellen kann mit unseren Sünden in das Licht vor seinem Angesicht. O Geliebte, lasst ihn machen! Er weiß, was ihr ertragen könnt. - Es kommen dann wieder andere Zeiten, Zeiten, wo der Herr in seiner Gnadenfülle fühlbar dem Herzen nahetritt, wo Reinigungswasser und Geisteskräfte spürbar durch die Seele gehen. Erfahrungen, die bei den einen in wenige Tage, wenn nicht gar in einige Minuten sich zusammendrängen, sind bei den anderen auf den Zeitraum von Jahren verteilt, und zwar in verschiedenstem Grad und in der verschiedenartigsten Aufeinanderfolge.

 

Lasset den Herrn machen; lasset ihn mit einem jeden der Seinen besondere Wege gehen! Der Töpfer weiß, wie er seinen Ton behandeln und gestalten soll; bleibt nur still in seiner weisen und väterlichen Behandlung! Du magst fühlen oder nicht fühlen; die Nacht mag noch so dunkel und dein Herz noch so voller Widersprüche sein - es tut nichts. Die Hand Jesu ist ausgestreckt, dich zu retten und zu bewahren. Lege deine Hand in die seinige und glaube es ihm, weil er es sagt, dass er dich annimmt und sicher leitet! Vertraue dich ihm an mit all deiner Unruhe! Vielleicht führt er dich noch länger durch Dunkel und Schatten, vielleicht lässt er dir recht bald die Sonne leuchten - überlass das völlig ihm, den treuen Führer, tue du nichts, als ihm folgen und ihm vertrauen! Zu seiner Zeit, die immer die rechte ist, wird er dich erquicken; im Umgang mit ihm wirst du ihn besser kennenlernen. Die Stunde wird kommen, wo seine Freude dich erfüllen wird, bis du, geleitet von seiner sicheren Hand, eingehst in das ewige Vaterhaus.

 

Die Proben gehn vorüber,

und Jesus bleibt getreu.

 

aus "Die Gnade ist erschienen" von Otto Stockmayer, Tag 28. Juli