Otto Stockmayer
Der Adventstrost
Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott; redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Dienstbarkeit ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden. Jesaja 40,1.2
Das 40. Kapitel des Propheten Jesaja ist das klassische Trostkapitel, das Wort Gottes an das in der Gefangenschaft weilende Volk, das von seinem Heimatboden und Tempel getrennt und unter der Hand der Heiden geknechtet war. "Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott; redet mit Jerusalem freundlich!" Ja, wir kennen diese freundliche Stimme noch ganz anders als das alttestamentliche Volk Israel; wir wissen, wie sie redet mit Mühseligen und Beladenen, mit solchen, die sich unter ihre Schuld beugen und sagen: "Ich habe alles verdient, ich habe mir mein Leben selbst so zuschanden gemacht." Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb' und Lust, all' Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewußt!
In den folgenden Versen hören wir Näheres über die tröstende Stimme dessen, der da kommt. Sie ist eine Stimme in der Wüste, in der öden, lautlosen Wüste, wo kein Heimatklang mehr an das Ohr dringt, kein Trost ein Herz erreicht, kein Stern mehr leuchtet. Gott muss mit seinem Trostwort oft erst warten, bis alles wüste geworden ist, woran wir Freude gehabt haben; sonst trösten wir uns immer noch mit anderen, und sein Trost wird verachtet. Nur in der Nacht leuchten die Sterne. "Ebnet auf dem Gefilde eine Bahn unserem Gott!" Die dunkelsten Verhältnisse, in denen wir stehen, müssen Gott Bahn machen in unserem Herzen. - "Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was ungleich ist, soll eben, und was höckericht ist, soll schlicht werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden" (Jesaja 40,4.5).
Es ist jetzt eine Wehmut über die Welt ausgegossen, ein Geist des Weinens und der Entmutigung. So viele ziehen sich in ihre Schwermutshöhlen zurück, um auf den Trümmern der verlorenen Herrlichkeit zu weinen. Das ist auch vom Teufel; der spiegelt uns erst falsche Herrlichkeit vor, und wenn sie dann vergangen und wenn die Folgen des Sündigens offenbar werden, dann lockt er in dunkle Täler hinunter. So hat sich der eine in ein dunkles Tal verloren, der andere auf Berge des Höhenwahns verstiegen, und sie finden sich nicht mehr zurecht. Die Berge und Hügel, die uns den Horizont für die obere Welt verdecken, müssen abgetragen, die Täler der Wehleidigkeit erhöht werden, das Krumme muss gerade gemacht, das Höckerichte geebnet werden.
Ja, wieviel haben wir an unserem eigenen Lebensweg zerstört durch unseren Ungehorsam gegen Gott! Wie lange braucht es im Christenleben, bis gerade Linien gezogen werden, eine ebene Bahn zustande kommt! Und doch muss Gott Raum gemacht werden. Die falsche Herrlichkeit, von der in den Versen 6-8 geschrieben steht, dieser faule Zauber der sichtbaren Welt, muss dahinwelken, unser Leben muss zu seinem Ursprung, zu seinen Quellen zurückkehren. Erst dann dringt das Trostwort in uns hinein, erst dann wird die Herrlichkeit uns geschenkt, die mit dem ersten Kommen des Herrn in ein mit Christus verborgenes Leben hineingesenkt und mit seinem zweiten Kommen offenbar werden wird.
aus "Die Gnade ist erschienen" von Otto Stockmayer, 30. November