C.O. Rosenius - Andacht aus "Tägliches Seelenbrot"

 

Tut wohl denen, die euch hassen!

 

Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; und tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgenMatth.5,44

 

Lasst uns bei diesen Worten darauf achten, welches der Sinn Christi ist und wie Seine Christen gesinnt sein sollen!

 

„Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen!“ Möchte jeder Christ bedenken, wie hoch Jesus hier das Ziel steckt, auf dass wir erkennen, was Heiligkeit ist, und nicht unser Leben in der Finsternis unserer bösen Natur durchwandern. — Der Herr straft nicht nur diejenigen, die ihre Feinde hassen, übel von ihnen reden oder ihnen Böses tun, sondern Er will selbst die nicht für fromm halten, welche unterlassen, sie zu lieben und ihnen Gutes zu tun.

 

Denn wenn Er sagt: „Liebet eure Feinde“, so bedeutet „lieben“ wirklich lieben, ein von Barmherzigkeit brennendes Herz haben und ihnen von Herzen alles Gute wünschen. Zweitens will Er, dass diese Liebe sich auch in milden Worten und mit Fürbitten beweist, wenn Er sagt: „Segnet, die euch fluchen.“ Wenn der Hass und die Feindschaft nicht schon in anderer Weise ausgeübt werden können, so geschieht es gewöhnlich durch ein Wort, durch das man in jeder Form seinen Feind zu tadeln, seinen guten Namen herabzusetzen und alles Böse von ihm zu reden sucht. Höre, wie der Apostel Paulus dasselbe ausdrückt: „Segnet, die euch verfolgen, segnet und fluchet nicht!“ Er wiederholt zweimal das Wort „segnen“ und deutet damit an, wie notwendig diese Ermahnung beherzigt und befolgt werden muss. Sollen wir aber unsere Feinde, „diejenigen, die uns verfolgen“, lieben, segnen und Gutes von ihnen reden, wo sind dann die, welche wir hassen und von denen wir Übles reden sollen? Es scheint hier, als wollte sich das gar nicht einem wahren, heiligen Sinn, einem Nachfolger Jesu geziemen; er soll keinen Menschen hassen oder verleumden und keinem fluchen.

 

Hier könnte jemand sagen: „Lesen wir nicht in der Schrift, dass auch heilige Männer, ja Jesus selber und Seine Apostel ihre Feinde hart und scharf angeredet haben? Heißt das sie lieben und sie segnen?“

 

Antwort: Was die Heiligen hart und strafend im Namen des Herrn geredet haben, ist nicht eines Menschen, sondern des heiligen Gottes Strafen und Schelten. Was von Amts wegen geschieht, z.B. wenn ein Richter das Todesurteil fällt oder wenn der Scharfrichter tötet oder wenn ein Lehrer mit dem Worte Gottes und mit Christi Sinn straft, das alles sind göttliche Bestrafungen. Was Gott tut, ist alles recht und heilig. Jesus spricht hier aber davon, was wir als Menschen denen gegenüber tun sollen, die uns feind sind, nicht davon, was ein Amt tut, sondern was ein Mensch tut. Und dann heißt es: lieben, segnen, Gutes reden, wohltun.

 

Zu solcher Ausübung der Liebe gehört auch das, was der Herr in Vers 42 sagt: „Gib dem, der dich bittet; und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will!“

Auch wenn es dein Feind ist, der in Not ist, eile, ihm zu helfen — „tut wohl denen, die euch hassen!“

 

Der Herr führt hier zwei Beweggründe an, warum wir unsere Feinde so lieben und ihnen Gutes tun sollen.

 

Erstens, dass wir in dieser Weise als gute Kinder unserem himmlischen Vater ähnlich sein können. Er sagt: „Auf dass ihr Kinder eures Vaters im Himmel seid; denn Er lässt Seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Wenn der Herr hier die Sonne und den Regen nennt, die die beiden Hauptmittel sind, durch die alle Frucht und aller Segen der Erde uns gegeben wird, so hat Er damit den unendlichen Reichtum aller Gaben und allen Gottessegens auf Erden umfasst; und diesen gibt Er unausgesetzt Seinen Feinden eben sowohl wie Seinen Kindern und Freunden. Das ist die Herzensgesinnung Gottes, und so sollen auch wir gesinnt sein.

 

Der zweite Beweggrund, den der Herr hier anführt, ist der, dass wir im entgegengesetzten Fall nicht Ihm, sondern gottlosen Menschen ähnlich sind. Er sagt: „Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner auch also?“ Möchten diejenigen, die sonst für fromme und gute Menschen gelten wollen, dabei aber nur ihre Freunde lieben und ihnen dienen, bei diesen Worten Christi aufwachen! Man findet kaum so böse Menschen, Diebe oder Räuber, dass sie nicht Freundschaft in ihrer Bande halten. Jesus sagt, dass auch die Teufel diese Einigkeit haben, sonst würde ihr Reich nicht bestehen können. (Luk.11,18)

 

Prüfe nun, wie fromm du bist, wenn du nur gegen deine Freunde mild und freundlich bist. Du bist nur so fromm wie die Diebe und Räuber, ja wie der Teufel.

 

Gütigster Jesu, wie gnädig,

Wie liebreich, freundlich und guttätig

Bist Du doch gegen Freund und Feind;

Dein Sonnenglanz, der scheinet allen,

Dein Regen muss auf alle fallen,

Ob sie Dir gleich undankbar seind.

Mein Gott, ach lehre mich,

Damit hierinnen ich

Dir nacharte!

Jesu, ei nu,

Hilf mir dazu,

Dass ich auch gütig sei wie Du!

 

Aus ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘ Andacht zum 8. Juni von Carl Olaf Rosenius

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)