Die Versuchung im Paradies - ihre Auswirkung auf die Menschheit
Da sprach die Schlange zum Weibe: Gott weiß, dass, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
1. Mose 3, 5
Welche verschlagene Zweideutigkeit und Schlangenlist äußert sich doch in diesen Worten, wie gebärdet sich hier der Teufel! Wie ein Engel des Lichts ist er gekleidet und sagt nun nicht etwa zu Adam und Eva: „Ihr sollt gar nicht beachten, was Gott sagt“, sondern im Gegenteil, er nimmt Gott zum Zeugen dessen, was er gesagt hat, und nimmt die eigenen Worte zum Beleg dafür.
Er gibt nur eine Erklärung des Namens, den Gott dem Baum gegeben hatte. Gott hatte ihn im Verbot „den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ genannt. Was das bedeutet, wollte der Teufel nun auslegen. „Gott weiß“, sagte er, Gott hat durch den Namen dieses Baumes zu erkennen gegeben, dass man durch ihn die Erkenntnis vom Guten und vom Bösen erhält, eine Erkenntnis, die Er selber besitzt. Wenn ihr davon esst, werdet ihr wie Gott sein und wissen, was gut und böse ist.
Dies alles sind ja vortreffliche Dinge, weise und erleuchtet wie Gott zu werden, das kann doch nichts Böses sein! Wenn Gott dies nun weiß, dann ist es ja unmöglich, dass Er, euer holder, allgütiger Vater, euch verboten haben sollte, von diesem Baume zu essen.
So hat mancher die Hinterlist des Satans verstanden.
Andere dagegen meinen, dass er dadurch den Verdacht einer Missgunst Gottes einflößen wollte, nämlich dass Gott ihnen nicht gönnte, so glücklich und so herrlich zu werden. Beide Meinungen können gut zusammen bestehen.
Eva konnte ja nur diesen Schluss ziehen: Wenn Gott weiß, dass unsere Augen durch das Genießen dieser Frucht geöffnet werden, so kann Er uns nicht verboten haben, davon zu essen.
Wir müssen Seine Worte offenbar falsch verstanden haben; denn wie könnte solch ein Gebot mit Seiner Güte und Liebe übereinstimmen? Hat Er dagegen uns wirklich verboten, davon zu essen, so können wir daraus schließen, dass Er uns nicht günstig gesinnt ist.
Wie deutlich wird hier doch die Verruchtheit des Satans!
Und sie leuchtet noch hässlicher hervor, wenn man bedenkt, wie er hier in seine bodenlose Lüge Wahrheiten mischt, die er durch zweideutige Ausdrücke verändert und verdunkelt. Er verspricht z.B., dass ihre Augen geöffnet werden sollen. Das konnte so verstanden werden, dass sie eine außerordentliche Weisheit und Einsicht bekommen würden; er aber meint ohne Zweifel die betrübende Erfahrung, die sie aus der Sünde und ihrer Strafe würden ziehen müssen.
Was in dieser Versuchung am meisten hervortritt und dazu bei allen Kindern Adams so tiefe Merkmale hinterlassen hat, ja noch heute die eigentliche Grundquelle alles geistlichen Verderbtseins, all der mächtigsten Versuchungen und des tiefsten Falles ist, das ist die Verführung der Schlange zum Hochmut, zur Selbstvergötterung und Unabhängigkeit oder zur Selbstklugheit.
Schon in den ersten Worten der Schlange „sollte Gott gesagt haben, ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten“, liegt der Gedanke verborgen: Ihr, Gottes herrlichstes Werk, ihr, Herrscher über die ganze Erde, solltet ihr gebunden sein?
Solltet ihr nicht volle Freiheit haben?
Als aber die Dreistigkeit des Versuchers gestiegen war, sagte er ausdrücklich: „Ihr werdet wie Gott oder Götter sein.“
Gerade dieses „ihr werdet wie Gott sein“ — nicht durch eine Gottes-Gnade oder -Gabe, sondern durch eigene Erkenntnis des Guten und des Bösen, durch eigenes Unternehmen, eigenes Werk — machte tiefen Eindruck auf den Menschen und hinterließ bei Adams Geschlecht Merkmale, die noch heute unaufhörlich durchscheinen.
Unleugbar ist es auch etwas Bedeutungsvolles, dass die Schlange eine Erkenntnisbegierde wachrief, die vor allem zu diesem erschrecklichen Fall beitrug. Luther sagt: „Es ist eigentlich des Teufels natürliches Gift, dass der Mensch klüger sein will, als es ihm von Gott befohlen ist.“
Erstens gibt es im Allgemeinen nichts, was die Menschen in geistlichen Dingen so töricht, so sehr feindlich gegen Gott und Seine Wege gemacht hat als die eingebildete Klugheit. „Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden“, auch wenn sie wirklich den größten Vorrat an Wissenschaften besäßen. Der Apostel sagt, dass „das Wissen aufbläht“. Je größer der Reichtum an Verstand und Wissen ist, umso mächtiger sind auch die Versuchungen zur Selbstvergötterung und Selbstklugheit, und desto mehr wird dieser Mensch für Gottes Weisheit unempfänglich.
„Gott widersteht den Hoffärtigen“ und „verbirgt“ sein Licht „den Weisen und Klugen“. Wenn Er einem Menschen widersteht, ist es mit ihm vorbei; dann fällt er aus einer Torheit in die andere.
„Alsdann bekommt er eine solche Weisheit“, sagt Luther, „dass er das für Gerechtigkeit ansieht, was Sünde ist, und die äußerste Torheit für die höchste Weisheit; denn dahin pflegt der Teufel die Sache zu bringen, dass, je weiter der Mensch vom Worte abkommt, desto gelehrter und weiser dünkt er sich zu sein.“
Wache, Seel’, allzeit
Dich zum Streit bereit’!
Denn der Teufel legt dort Schlingen,
Wo’s am leicht’sten kann gelingen,
Das ist seine Weis’;
Wache drum mit Fleiß!
(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)