C.O. Rosenius - Andacht aus "Tägliches Seelenbrot"

Das Urteil Gottes geht viel höher als das der Menschen

 

Einem jeglichen dünken seine Wege rein; aber allein der Herr macht das Herz gewissSpr.16,2

 

Wie viele und verschiedene Meinungen gibt es doch über den Weg zur Seligkeit! Und jeder möchte glauben, den rechten zu wissen, wie die Schrift sagt: „Einem jeglichen dünken seine Wege rein; aber allein der Herr macht das Herz gewiss.“

 

Leichten Mutes, mit ruhigem und entschiedenem Tone sagt der eine: „Tue nur allen Recht und so vielen du kannst Gutes und sei gewiss, dass Gott dann nicht mehr fordern wird; Er ist mild und gerecht.“

 

Der andere sagt: „Ich habe nichts auf meinem Gewissen, ich gehe zum Abendmahl, lebe ordentlich und glaube, dass Christus gelitten hat und gestorben ist; wenn etwas mangelt — niemand ist vollkommen —, so wird Gott es vergeben.“

Ein dritter sagt: Gott hat meine Gebete und Tränen in einsamen Augenblicken gesehen, das ist mein Trost.“

 

Ein vierter sagt: „Dass Gott mir gnädig ist, das sagt mir mein Herz, das sagen mir Seine gnädigen Führungen, ja, das hat Er selber mir in besonderer Weise gesagt (z.B. in Träumen); ich brauche darüber nicht mehr zu forschen.“ Ein fünfter aber, ein ernsterer Mensch, sagt: „Mehr ist erforderlich, eine gründliche Erweckung, wahre Buße, wahrer Glaube und wahre Heiligung, das ist der Weg.“

 

Aber Jesus sagt auch von den Ernsteren: „Viele werden danach trachten, wie sie durch die enge Pforte eingehen und werden es nicht tun können.“

 

Und Paulus sagt: „Ich gebe ihnen das Zeugnis, dass sie eifern um Gott, aber mit Unverstand.“ Da hat der eine sein Alles in Allem in der ebengenannten Gnadenordnung, so dass Christus und Sein Verdienst dagegen ein nichts sind.

 

Ein anderer redet nur vom Glauben, ein dritter nur von den Werken; ein vierter sieht in Zerknirschung und im Gefühl des Verdammtseins alle Seligkeit; ein fünfter redet nur vom Absterben der Welt und des eigenen Willens, von Entsagung, Läuterung, Gebet; ein sechster sagt: „Am größten unter ihnen ist die Liebe; Gebet, Demut und Liebe in den Fußstapfen Jesu, das ist der Weg.“

 

Ein siebenter sagt: „Die Beweisung des Geistes und der Kraft, das ist meine Sache: „Herr, habe ich nicht in Deinem Namen geweissagt und in Deinem Namen Teufel ausgetrieben und in Deinem Namen viele Taten getan?“

 

Von solcher und noch anderer Art sind die verschiedenen Ansichten und vermeintlichen Seligkeitswege, die mitten in der Christenheit kreuzweise durcheinanderlaufen.

 

Gewiss enthalten sie viele gute Dinge, Tugenden und Übungen, die ein wahrer Christ nicht verachten darf, denen er vielmehr mit Ernst nachstreben sollte, ja, das sind sogar Dinge, die man in Wirklichkeit nur bei wahren Christen findet. Das diesen aber wirklich Auszeichnende, was zugleich beweist, dass diese Tugenden bei einem Menschen echt sind, weil sie des Geistes Werke sind, liegt noch nicht in diesen Bekenntnissen. All diese Geistlichkeit kann von der wahren ebenso fern sein, wie Sibboleth und Schibboleth verschieden waren.

(Richter 12). Man kann bei all diesem Guten am großen Tage des Herrn doch die Antwort erhalten: „Ich kenne euch nicht, weicht alle von Mir!“ Lies nur Matth.7, wo der Herr selber spricht: „Es werden viele an jenem Tage zu Mir sagen: „Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in Deinem Namen viele Taten getan? Dann werde Ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weicht alle von Mir, ihr Übeltäter!“

 

Hier fragt nun jemand: „Hat denn die Heilige Schrift ein besonderes Zeichen für das Reich Christi hervorgehoben, durch das sich die einzig rechte Geistlichkeit von allen falschen Wegen unterscheidet?“ Ja, Gott sei Dank! Diejenigen, die schon zur Wahrheit gekommen sind und geöffnete Augen haben, finden es überall in der Schrift. Sie sehen, dass es der auszeichnende Zug alles wahren Christentums ist, dass Christus und allein Christus für das Herz Alles in Allem wurde. Sie sehen es als unumstößlich entschieden an: „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.“

 

Dies muss nun jeder zur Prüfung seines eigenen geistlichen Lebens anwenden. Und wer zur Erkenntnis gekommen ist, der danke Gott! Gewiss muss er dann auch viel von anderen Arten von Geistlichkeit verstehen. Möge er dabei in der Liebe eifrig und weise sein. Viele, die noch nicht zur Wahrheit und zum Leben gekommen sind, werden einmal dazu kommen, wenn alle Gläubigen mit Weisheit und Liebe sie zu erleuchten suchen. Einstweilen bleibt Christus das Zeichen, an dem vieler Herzen Gedanken offenbar werden, „ein Geruch zum Leben und ein Geruch des Todes zum Tode“. Von Ihm sagt die Schrift ausdrücklich: „Ein bewährter Stein“, ein köstlicher Eckstein denen, die da glauben; denen aber, die da nicht glauben, „ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses, dass ihrer viele sich daran stoßen, fallen, zerbrechen, verstrickt und gefangen werden“.

 

Aus der versiegelten, seligen Schar kann einer hervortreten und sagen: „Auch ich habe an all diesem Guten gearbeitet; als ich aber am meisten arbeitete, merkte ich, dass die Augen Gottes wie Feuerflammen sind. Nicht einmal die Himmel sind vor Ihm rein und das Urteil Gottes geht viel höher als das der Menschen; „und ich starb“, aber Christus ward mein Leben, und Er ist jetzt mein Psalm und mein Heil — um welches willen ich alles für Schaden gerechnet habe und achte es für Dreck. — Der Herr hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben: „Du bist erwürgt und hast uns Gott erkauft mit Deinem Blut! Du bist würdig zu nehmen Ehre und Preis und Lob von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.““

 

Aus ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘ Andacht zum 14. Juni  von Carl Olaf Rosenius

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)