C.O. Rosenius - Andacht aus "Tägliches Seelenbrot"

Das Reich Gottes in mir

 

Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.  1. Kor. 4, 20

 

Das ist ein sehr ernster Spruch, dessen Wahrheit jeder Christ in seinem Gewissen erkennen sollte. Wer darum eines Tages selig vor dem Throne Gottes stehen will, der darf nicht unbedachtsam diese Wahrheit vergessen, er muss den Geist Gottes um Gnade zur Besinnung und zu ernstlicher Selbstprüfung anrufen. Dass „das Reich Gottes nicht in Worten, sondern in Kraft steht“, ist eine höchst wichtige Mahnung.

 

Denn erstlich ist jedes Menschenherz ein arges und hinterlistiges Ding, voller Falschheit, Lüge, Betrug und Heuchelei, wodurch man immer in großer Gefahr schwebt, sich mit einer bloßen Scheinfrömmigkeit, mit einem Mundchristentum, mit Erkenntnis und Bekenntnis zu betrügen, ohne das wahre Leben, die wahre Kraft des Christentums zu besitzen. Zweitens ist auch zu befürchten, dass der Spruch, den wir hier vorhaben, gerade „ein Wort zu seiner Zeit“ ist. Die Zeit, in der wir jetzt leben, ist so, dass die lieben Christen, zumal an gewissen Stätten, dies ganz besonders zu bedenken nötig haben: „Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.“ Es werden sich gewiss zu allen Zeiten und an allen Orten einige in der Schar der Erweckten finden, die sich selber betrügen und sich an einem Vorrat von Erkenntnis und Verständnis sowie mit einem Schein der Gottesfurcht, die rechte Kraft derselben verleugnend, genügen lassen.

 

Aber es geschieht zuweilen, dass ganze Gemeinden eine Richtung erhalten, in der das ganze Christentum aus eitel Worten und Erkenntnis besteht, so dass es da besonders notwendig ist, zu bedenken, dass „das Reich Gottes nicht in Worten, sondern in Kraft steht“. Wir wollen nicht verhehlen, wie es in der Gemeinde war, an die der Apostel diese scharfen Worte schrieb. Paulus hatte mit der Predigt des Evangeliums — nicht „in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft“ — ihnen den Rat Gottes zu unserer Seligkeit verkündigt, und sie hatten ihn einfältig angenommen und waren in ihrer Glaubenseinfalt selig.

 

Bald aber wurzelte sich dort ein solcher Geist ein, dass ihre ganze Aufmerksamkeit fast nur auf die Lehre, nicht auf die Ausübung, nein, auf Lehrer und Lehren gerichtet war. Es handelt sich um Paulus und Kephas, um Christus und Apollo, so dass der eine sagte: „Ich bin paulisch“; der andere: „Ich bin apollisch“; der dritte: „Ich bin kephisch“; der vierte: „Ich bin christisch“. Dabei dachten sie aber weniger daran, dass es schlechter um ihr eigenes Innere bestellt sei, nämlich mit der Anwendung und der Kraft der Lehre im Herzen und im Wandel, weshalb auch ganz erschreckliche Dinge unter ihnen geschehen konnten, ohne dass sie viel darüber beunruhigt wurden. Sie waren außerdem mit sich zufrieden, „aufgeblasen“, stark und mutig in höchst schlimmen Fällen. In demselben Kapitel, aus dem wir unseren Text genommen haben, sagt der Apostel: „Ihr seid schon satt geworden, ihr seid schon reich geworden, ihr herrscht ohne uns. Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus, wir schwach, ihr aber stark; ihr herrlich, wir aber verachtet. Ich werde aber gar bald zu euch kommen, so der Herr will, und kennenlernen nicht die Worte der Aufgeblasenen, sondern die Kraft.

 

Denn das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.

 

Nun, auch wenn diese Schilderung nicht ganz zuträfe, so ist es doch gewiss, dass wir reicher an Worten als an Kraft sind. Wir sind, Gott Lob, ganz reich an geistlicher Lehre, an Worten und am Verständnis. Wir haben mehr geistliche Erkenntnis als die größten Heiligen vormals hatten. Man kann wahrlich sagen, was Bischof Pontoppidan bekennt: „Sehe ich auf unsere Väter, so scheint es mir, dass sie mehr taten, als sie wussten; aber wir wissen mehr, als wir tun. Sie gleichen einer fruchtbaren Lea mit schwachen Augen, wir aber einer unfruchtbaren Rahel mit schönem Angesicht.“ Was jetzt darum am notwendigsten ist, wäre gewiss das Stück, welches Ausübung oder ins Werk setzen heißt. „Denn das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.“

 

Allerdings sei die Meinung fern von uns, die einige gehabt haben und noch haben, dass nämlich das, was wir genug besitzen, die Lehre des Glaubens, und was uns fehle, die Lehre der Heiligung sei; dass die erstere genügend und hinreichend verkündigt sei, dass aber den Mängeln in unserem Christentum jetzt dadurch abgeholfen werde, indem man vorzugsweise Gesetz und Heiligung predige. Nein, nur die verachtete „törichte Predigt“, die Predigt vom Glauben schlechthin gibt den Geist, das Leben, die Kraft und die Wahrheit in der Heiligung.

 

Wo die Kraft und die Beweisung der Gottesfurcht fehlen, gebricht es dort auch am Glauben und am Leben in Christus. Der Fehler ist aber der, dass wir das Wort nicht zu Herzen nehmen, um es sogleich anzuwenden und auszuführen, sondern es nur im Verstand sammeln, um die Begriffe zu ordnen und die Lehre klar zu erhalten, mit anderen Worten, dass man seine ganze Zeit zum Schmieden, Polieren und Ordnen der Waffen anwendet, unterdessen aber den Feind das Land einnehmen lässt, ohne die Waffen gegen ihn anzuwenden.

 

Man hat die Aufmerksamkeit nur auf die Lehren und die Begriffe gerichtet, während die Sache selbst, die das Wort fordert, des Herzens Reue, Glaube, Liebe und Bekanntschaft mit Gott in Christus und die daraus fließende Heiligung vergessen werden. — Beachte darum! Gerade dadurch laufen wir Gefahr, auch die echte, wahre Lehre zu verlieren; zum mindesten fehlt uns in dieser Weise die Sache selbst — Gottes Reich in uns; — denn „das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft“.

 

Du, o Jesu, selbst uns lehre,

Recht zu achten auf Dein Wort.

Deinen ganzen Will’n erkläre

Mehr und mehr uns immerfort.

Deinen Geist uns gnädig gebe,

Uns Dein Liebesfeu’r belebe,

So dass Deines Wortes Kraft 

Neues Leben in uns schafft.

 

Aus ‘‘Tägliches Seelenbrot‘‘ Andacht zum 16. Februar -  von Carl Olaf Rosenius

(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)