Belüge deinen Nächsten nicht,
füge ihm keinen falschen Leumund zu!
Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten! 2. Mose 20,16
Dies ist das Gebot, das fast kein Mensch beachtet und um dessentwillen man stets in Verlegenheit darüber ist, so reden zu können, dass seine Wichtigkeit begreiflich werde. Das fünfte, sechste und siebente Gebot haben den Vorteil, dass Verbrechen gegen sie von der weltlichen Obrigkeit und beinahe von allen Menschen bestraft und abgelehnt werden.
Was aber bedeutet es schon, nur das kleine Glied, die Zunge, zu bewegen, und sei es auch nur zur Herabsetzung des Nächsten?
Wer die Schlösser anderer aufbricht und Geld herausnimmt und dafür mit Gefängnis bestraft wird oder wer Menschenblut vergießt und danach u. U. auf einem Richtplatz hingerichtet wird, den kann man für einen großen Verbrecher halten.
Wer aber nur in einer vertraulichen Unterredung seine Zunge bewegt, ob er dadurch auch seinem Nächsten das stiehlt, was ihm viel kostbarer als Geld, ja oft kostbarer als das Leben war - seinen guten Namen, seinen guten Ruf -, der wird nicht für einen großen Verbrecher gehalten, der wird nicht ins Gefängnis geworfen oder sonst wie bestraft. „O es waren doch nur einige Worte, nur ein leichter Wind, der über die Zunge strich.“ So heißt es dann.
In der Heiligen Schrift aber heißt es anders. Wenn ein Dieb und ein Verleumder miteinander verglichen werden, dann heißt es so: „Sei nicht ein Ohrenbläser und verleumde nicht mit der Zunge.
Ein Dieb ist ein schändlich Ding, aber ein Verleumder ist viel schändlicher.“ Und abermals: „Ein Dieb ist nicht so böse wie ein Mensch, der zu lügen sich gewöhnt; aber zuletzt kommen sie beide an den Galgen.“
Zur Betrachtung dieses Gebotes wollen wir nun sehen, was der Herr wollte, als Er befahl: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!“
Wir sehen hier die göttliche Besorgnis für die Menschen.
Als Er im ersten Gebot der zweiten Tafel einen allgemeinen Grund der heilsamen Ordnung unter den Menschen auf Erden gelegt hatte, waren es besonders vier kostbare Schätze, die der gütige Vater dem Menschen sichern wollte: Zuerst das leibliche Leben, dann die Heiligung der Ehe, ferner unser irdisches Eigentum und jetzt schließlich unseren guten Namen und unseren guten Ruf, der uns gewöhnlich kostbarer als irdisches Gut, ja kostbarer als das Leben selbst ist.
Aber ebenso teuer wie dir dein guter Name ist, für den du nicht die geringste Kränkung duldest, ebenso teuer wird auch einem anderen seine Ehre und sein Ansehen sein. Darum ist dies Gebot ebenso ernstlich zu dir wie zu einem anderen geredet, so dass hier wie in den anderen Geboten ein jeder ins Auge gefasst und niemand von der bindenden Kraft des Gebotes ausgenommen ist.
Wer du auch bist, du musst es auf dich beziehen: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!“ Denn unser Herr will so ernstlich, dass der Ruf, die Ehre und die Rechtschaffenheit unseres Nächsten ebenso wenig wie sein Gut und Geld verscherzt und verkleinert werden sollen, auf dass jedermann dem Gemahl, den Kindern, Hausleuten und Nachbarn gegenüber seine Ehre behalte.
Das muss ein jeder bedenken!
Dieses Gebot enthält zunächst, dass du es nicht nur vor dem Richterstuhl, sondern auch in deinem Umgang mit Menschen aufs Ernstlichste genau nimmst mit deinen Worten und Andeutungen über den Nächsten und dass du nie unnötig zu unvorteilhaften Gedanken über ihn Anlass gibst. Ferner sollst du allem falschen und lügenhaften Wesen aus dem Wege gehen und dich in deinem Umgang aufs Strengste der reinen Wahrheit befleißigen.
Gegen dieses Gebot wird also zunächst vor dem Richterstuhl gesündigt, wenn jemand seinen Nächsten fälschlich anklagt oder wenn der Angeklagte mit lügenhaften Ausflüchten die Wahrheit zu verheimlichen sucht oder wenn ein Zeuge etwas Falsches, etwas zu viel oder etwas zu wenig in der Sache sagt oder wenn ein Anwalt mit Wissen und Willen eine falsche Behauptung verficht oder wenn der Richter wissentlich ein falsches Urteil fällt.
Aber auch außerhalb des Richterstuhles, im täglichen Leben, findet dies statt, wenn man aus Unbedachtsamkeit oder aus Bosheit seinem Nächsten falschen Leumund macht, entweder dadurch, dass man falsche Berichte über ihn erdichtet oder auch nachschwätzt und verbreitet, oder wenn man mit bloßem Stillschweigen oder bedenklicher Miene und einem Achselzucken etwas Böses über ihn andeutet, was man entweder nicht mit Gewissheit weiß oder auch gemäß dem Gebot der Liebe anzudeuten nicht verpflichtet war.
Solches kann zuweilen überaus fein und unbemerkt schon dadurch geschehen, dass man seinen Worten oder Handlungen eine gewisse Wendung gibt, wodurch die Auffassung falsch wird, - ja, so fein und unbemerkt kann es geschehen, dass nur der allsehende Gott es merken kann. Das heißt „seinen Nächsten fälschlich belügen und über ihn afterreden“.
Bedenken wir daneben, wie der Herr Christus uns das Gesetz erklärt hat, nämlich dass wir unseren Nächsten so lieben sollen wie uns selbst und gegen andere nur das tun, was wir wollen, dass sie gegen uns tun sollen, so erkennen wir die Wahrheit der Erklärung Luthers über dieses Gebot.
Wir sollen Gott so lieben und fürchten, dass wir nicht nur unseren Nächsten nicht fälschlich belügen und ihm bösen Leumund zufügen, sondern ihn auch nicht verraten und über ihn afterreden.
Wir sollen im Gegenteil „ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren“.
Lass Wahrheit, Herr, in meinen Worten sein,
Leg’ Wahrheit in mein Wesen stets hinein,
Dass Deines Geistes Kraft man bei mir merk,
Bewahr mich vor der Sünde heimlich Werk.
(herausgegeben von LUTH. MISSIONSVEREIN SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. http://www.rosenius.de)