Schon mehrmals wurde ich gefragt: Muss ich wirklich mein Ich und meinen Willen abgeben, wenn ich Gott wohlgefällig leben möchte? Diese Ansicht kreist auch oft unter gut meinende Gläubige und wird als wichtiger Schritt für eine richtige Bekehrung gesehen. Es ist aber ein heimtückischer Virus, der sich in aller Stille ausbreitet und zu einem ungesunden Glaubensleben, zum Fanatismus, zu spiritueller Bevormundung und Entmündigung führen kann. Am Ende kommt eine ungesunde Glaubenshaltung heraus, die wieder krank macht, weil sie diesen Irrweg so vehement bei jeder Gelegenheit einschlägt.
Diesem ungesunden Glauben wurde schon der Weg bereitet, weil der freie Wille des Menschen grundsätzlich angezweifelt wird, der Mensch so verderbt sei, dass er nichts aus freiem Willen tun könne. Aber damit wäre der Mensch jeder Verantwortung entbunden. Er wäre nur mehr eine willenlose Beute des Verführers, der ja in erster Linie den freien Willen des Menschen umgehen will, um ihn über Gefühle, Täuschungen, aber auch Ängsten und Sorgen zu steuern. Wer also sein Ich und seinen Willen hergibt, gibt diesen letztlich nicht Gott, sondern dem Teufel.

 

Gott hat den Menschen mit freiem Willen geschaffen und spricht auch nach seinem Sündenfall immer das Ich des Menschen und seinen Willen an. „Da rief Gott der Herr den Menschen und sprach: Wo bist du? Und er antwortete: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt.“ ( 1 Mo 3, 9). Gott spricht sein Ich an, sein Du. „Gott, der HERR, rief aus dem Dornbusch Mose zu und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich!“ ( 2 Mo 3, 4). Gott spricht das Ich des Moses an und Mose kommt mit seinem Ich und seinem Willen zu Gott. „Hier bin ich,“ sagt ja, ich bin mit meinem ich und Willen ganz bereit vor dir, zu hören und zu dienen. Paulus fragt mit Zittern und Schrecken Jesus: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ (Apg 9, 6). Ein Paulus weiß damit, dass er den Willen Jesu mit seinem Ich tun soll. Also unser Ich und unser Wille sind unverzichtbar, um den Willen Gottes zu tun.

 

Wir können nur mit unserem Ich und unserem Willen Gott dienen, und erst dann auch mit allen unseren anderen Fähigkeiten. „Du sollst den Herrn deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen (Ich) und deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft (Willen).“ (5 Mo 6, 5) Wir loben Gott mit unserem Ich: „Ich will den Herrn loben von ganzem Herzen, ich will alle deine Wunder erzählen.“ (Ps 9, 2). Wir lieben Ihn mit unserem Ich: „ Ich will dich von Herzen lieben, o Herr, meine Stärke!“ (Ps 18,2). Wir verkünden Seinen Namen - Seine Größe - mit unserem Ich : „ So will ich meinen Brüdern deinen Namen verkündigen; inmitten der Gemeinde will ich dich loben!“ (Ps 22, 23) Unseren Glauben, unsere Hingabe, bringen wir mit unserem Willen und unserem Ich vor Gott: „Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: das sei euer vernünftiger Gottesdienst! Und passt euch nicht diesem Weltlauf an, sondern lasst euch in eurem Wesen verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.“ (Röm 12, 1-2) Unser großes Ringen aber soll sein, uns mit unserem Ich und unserem Willen ganz in den Dienst Gottes zu stellen. Dazu befähigt uns die Kraft Gottes, der Heilige Geist, der denen gegeben ist, die ihm gehorchen. (vgl. Apg 5, 32) „… gebt euch selbst Gott hin als solche, die lebendig geworden sind aus den Toten, und eure Glieder Gott als Werkzeuge der Gerechtigkeit!“ (Röm 6, 12)

 

Nun wirst du fragen, was bedeutet aber, dass wir mit Ihm (Christus) eins gemacht worden sind in seinem Tod, unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde außer Wirksamkeit gesetzt sei und wir der Sünde nicht mehr dienen (vgl. Röm 6, 5-7). Was ist nun der alte Mensch, der Leib der Sünde? Da beginnt oft ein Missverständnis. Viele meinen, mein Ich muss sterben, eben mein alter Mensch, mein alter Adam. Aber es ist damit nicht unser Leib gemeint, der ja ein Tempel des Heiligen Geistes geworden ist: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid, und dass der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3, 16). „Der Leib ist aber nicht für die Unzucht, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib…Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder des Christus sind?“ (1 Kor 6, 13.14). Es ist also von Gott kein Selbstmord gefordert. Unser Kampf richtet sich nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Sünde, die muss getötet werden: „tötet daher eure Glieder, die auf Erden sind: Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust und Habsucht, die Götzendienst ist; um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams, unter ihnen seid auch ihr einst gewandelt, als ihr in diesen Dingen lebtet. Jetzt aber legt auch ihr das alles ab – Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, hässliche Redensarten aus eurem Mund“ (Kol 3, 5-8). Das also sollen wir töten und ablegen wie ein schmutziges Kleid. Machen wir nicht das Geschaffene an sich - unser Ich und unseren Willen -verwerflich, wir machen ihn erst zum Knecht des Bösen durch eine Entscheidung: „Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird“ (1 Tim 4,4; vgl. 1 Mo 1,31; Apg 10,15; 1 Kor 8,8)

 

Es ist freilich ein Kampf zwischen Fleisch und Geist, wobei unter „Fleisch“ immer eine „sündige Haltung“ gemeint ist und nicht Fleisch und Blut: „…denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Fleisch und Blut,…“ (Eph 6, 12). Wenn wir uns aber eins machen mit einer sündigen Haltung, denn beginnt diese in uns zu herrschen und wir werden Knechte der Sünde: „Wem ihr euch als Knechte hingebt, um ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorchen, es sei der Sünde zum Tode, oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? Gott aber sei Dank, dass ihr Knechte der Sünde gewesen, nun aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Vorbild der Lehre, das euch überliefert worden ist.“ (Röm 6, 16-17). Dieser Gehorsam ist Ausdruck der Hingabe an Gott, ist ein Weggehen von sündigen Haltungen, zu einem Leben für Gott und seine Gerechtigkeit in einer Willensentscheidung. Dies aber bleibt ein Kampf zwischen unserem sündigen Wollen (Fleisch) und dem Geist, der uns den Willen Gottes weist. „Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lust des Fleisches (sündige Neigung) nicht vollbringen. Denn das Fleisch gelüstet gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; und diese widerstreben einander, so dass ihr nicht das tut, was ihr wollt.“ (Gal 5, 16-17). So muss unser Herz, unser Ich, immer wieder gereinigt werden in einer Haltung der Buße und Umkehr, denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken (vgl. Mt 15,19). Das Herz muss nicht getötet, sondern gereinigt werden. Das soll das Ringen um Heiligung sein: „Jagt nach dem Frieden mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird!“ (Hebr 12,14).

Johannes Ramel
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