Der gebrochene Fuß
Eines Abends kam ein Wanderer an einen einsamen Schafstall. Die Tür war nicht verschlossen, und so trat er ein. Mitten zwischen seinen Schafen saß der Hirte, der nach kurzem Gruß sich wieder einem Schäfchen zuwandte, das anscheinend krank auf einem Bündel Stroh lag.
"Was fehlt ihm?", fragte der Wanderer.
"Ein Fuß ist gebrochen", antwortete der Hirte und streichelte es sanft.
Der Fremde wollte wissen, wie das geschehen war. Da erzählte der Hirte:
"Ich selbst habe ihm den Fuß gebrochen, weil ich seinen Ungehorsam nicht länger ertragen konnte. Monatelang habe ich versucht, es mit Liebe zu leiten und ihm nur Gutes zukommen zu lassen, aber es hat nie richtig auf meine Stimme gehört. Immer ging es seinen eigenen Weg. Einmal musste ich es von steilen Felsen herunterholen und ein anderes Mal aus einem Abgrund herauftragen. Fast wäre es schon dem Adler zum Opfer gefallen; aber das Schlimmste war, dass auch andere Schafe ihm nachliefen. Da wusste ich nur noch ein Mittel: Ich musste ihm den Fuß brechen, damit es nicht mehr weglaufen kann. Erst war es böse, fraß nichts und stieß nach mir; aber jetzt sieht es mich demütig an und leckt mir meine Hände. Auch auf den Ton meiner Stimme achtet es genau. Bald kann es wieder laufen, und eines weiß ich, dass ich dann in meiner Herde kein ungehorsames Schaf haben werde."
Als der Wanderer seinen Weg fortsetzte, dachte er bei sich: "Sollte der himmlische Hirte mit seinen Schafen nicht auch so handeln?"
Dein Tun ist stets gesegnet,
selbst wenn es hart uns scheint.
Dein Blick voll Trost begegnet
dem, der gebeugt hier weint.
Oh, wohl uns, dass wir stehen
in Deiner Hirtenhut!
Wir können freudig gehen,
Du machst es immer gut.
aus Traktat "Mein HIrte" VdHS