Der alte Mann und die Arbeiter im Weinberg (Matthäus 20, 1-16)
Rolf Müller
Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, fangen meist die Schwierigkeiten an. Es ist dann wichtig, dass wir im Glauben weitermachen. Viele greifen aus dem Gleichnis die „elfte Stunde“ heraus. Sie denken, ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Ich werde den gleichen Lohn bekommen wie die Leute, die schon am frühen Morgen mit der Arbeit begonnen haben. Ein Gleichnis hat oft den Zweck, eine einzige Wahrheit zu erläutern. Man kann nicht alles Mögliche aus einem Gleichnis herauslesen.
Das ganze Christenleben ist von Anfang bis Ende Gnade. Die als Letzte in den Weinberg gehen, sind genauso drin wie die, die bereits am Anfang hineingingen. Es ist nie zu spät. Die Errettung ist nicht nur etwas für junge Leute. Sie ist für alle Menschen. Sie ist auch für die, die sich erst im vorgerückten Alter bekehren. Man kann auch in der elften Stunde noch in den Weinberg gesandt werden. Es ist alles Gnade.
Die Menschen in unserem Gleichnis, die zuerst in den Weinberg gesandt wurden, geben ein schlechtes Beispiel. Sie sind unzufrieden. Sie murren und meckern. Dafür gab es keinen Grund. Der Arbeitsvertrag war eindeutig. „Geht hin und arbeitet, ich will euch geben, was Recht ist.“
Die ersten Arbeiter beobachteten die anderen. Sie machten eine Aufstellung. Sie führten Buch über die Arbeitsstunden. Sie wussten genau Bescheid. Der Geist, von dem sie besessen waren, wurde durch die Güte des Weinbergbesitzers entlarvt. Der gab den Letzten in seiner Güte denselben Lohn wie den Ersten. Die waren der Meinung, ihnen stünde mehr zu. Sie meinten, mehr verdient zu haben. Das war von ihrem Standpunkt aus eine logische Schlussfolgerung. Nun war es mit ihrer Freude vorbei. Sie begannen sich selber zu bedauern. „Die wir des Tages Last und Hitze ertragen haben!“
Es ist kein gutes Beispiel, wenn Christen murrende Leute sind, statt sich in Jesus Christus zu freuen. Sie verlieren aus dem Blick, dass alles im Christenleben Gnade ist. Sie sind neidisch auf die anderen. Sie haben das Gefühl, dass andere Leute besser behandelt werden als sie selber. Ihre Haltung ist ichbezogen. Sie halten den Hausherrn für ungerecht. „Schau dir einmal den da an! Der hat nicht viel getan, und sieh mal, was er trotzdem bekommt!“ Der Teufel sucht uns einzureden, dass Gott uns ungerecht behandelt.
Wenn wir Christen sind, verändert sich unser Denken. Das Reich Gottes besteht nicht aus Abmachungen und Verträgen. Wer so denkt, liegt völlig falsch. Wir können nicht sagen, weil ich das und jenes getan habe, habe ich das Recht auf eine Gegenleistung. Wenn ich für bestimmte Dinge bete, muss ich sie erhalten. Wenn ich eine Nacht um Erweckung bete, muss sie kommen. Das stimmt nicht. Wir sind nie, weil wir etwas tun, berechtigt, etwas zu erhalten. Gott ist souverän. Wir können keine Erweckung auf Kommando bewirken. Gott sendet die Dinge zu seiner Zeit und auf seine Weise. Alles ist Gnade.
Auch der Lohn ist Gnade. Gott braucht ihn nicht zu geben. Wir können nicht bestimmen, wie der Lohn aussehen soll. Im Christenleben ist alles Gnade, vom Anfang bis zum Ende. Wenn wir murren, ist das ein Zeichen, dass wir Gott nicht vertrauen. Da schaden wir uns selbst. Wir können mit Gott keine Geschäfte machen. Wenn wir uns seiner Gnade überlassen, werden wir mehr bekommen, als wir uns vorstellen können. Wir müssen in unserem Glaubensleben bedacht sein, Gott die Ehre zu geben. Wir müssen nicht auf die Uhr schauen. Die „Buchführung“ überlassen wir ihm und seiner Gnade. Darüber dürfen wir uns freuen. Das Geheimnis eines frohen und glücklichen Christenlebens besteht darin, dass man sich klar macht, dass alles Gnade ist.
Gnade muss es sein, Gnade ganz allein!
Alles andre geht in Stücke,
ist nur eine schlechte Krücke:
Gnade hält allein, Gnade muss es sein!
Aller eigne Wert nur den Hochmut nährt;
alles, was ich selbst erworben,
hat die Sünde ganz verdorben:
Gnade muss es sein, Gnade ganz allein!
(Friedrich Hermann Krüger)