Der alte Mann und die Grenzen.
Rolf Müller.
Der Begriff Grenzen ist vielfältig besetzt. Man kann eingrenzen und ausgrenzen. Grenzen können trennen, aber auch schützen. Brauchen wir Grenzen oder können wir darauf verzichten?
Der alte Mann hatte vierzig Jahre lang einen Garten. Innerhalb der Anlage gab es zwischen den Parzellen keine Zäune. Allerdings war die Gartenanlage außen abgegrenzt. Um in die Gärten zu kommen, musste man einen Schlüssel besitzen oder über den Zaun klettern.
Die Ansichten, ob Grenzen nötig sind, gehen auseinander. Als Bewohner der ehemaligen DDR hatte der alte Mann von Haus aus ein gebrochenes Verhältnis zur damaligen Staatsgrenze. Er bringt sie in Zusammenhang mit Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen.
Der alte Mann hat nachgedacht, was die Bibel über Grenzen sagt. Grenzen sind im Plan Gottes vorgesehen. Gott trennt schon bei der Schöpfung. Er scheidet das Licht von der Finsternis und den Tag von der Nacht. Gott scheidet das Land vom Meer. Es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Adam und Eva hatten herrliche Freiheit, aber die hatte Grenzen. Sie durften alles essen. Zwei Bäume im Garten waren tabu. Gott hatte verboten, ihre Früchte zu essen.
Gott hatte sich sein Volk Israel erwählt und dabei die Landesgrenzen festgelegt. Gott hat den Israeliten nicht die ganze weite Welt geschenkt, sondern er hat ihnen ein bestimmtes Land zugewiesen. Ein Welteinheitsreich war nicht Gottes Plan. Als die Menschen das in eigener Regie verwirklichen wollten, griff Gott ein. Er verhinderte, dass der Turm in Babel den Himmel erreichte. Er errichtete Sprachbarrieren. Verschiedene Nationen sind von Gott gewollt.
Das Einheitsbestreben der Menschen hat sich schon immer gegen Gott gerichtet. Es ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Eine Welt ohne Grenzen, ein Einheitsprogramm bereitet dem Antichrist den Weg.
Grenzen sind wichtig und gottgewollt. Staatsgrenzen sorgen für Sicherheit. Ein Staat, der seine Grenzen nicht verteidigt, nimmt seinen Untergang in Kauf. Eine Welt ohne Grenzen ist unbiblisch.
Menschen, die zusammengehören, leben in Gemeinschaften. Auch in diesem kleinen Rahmen gibt es Grenzen und Regeln, die beachtet werden müssen. Auch in der Familie gibt es Grenzen, an die man sich halten muss. Ohne sie geht es nicht.
Der alte Mann gehört zu einer christlichen Gemeinde. Er weiß aus Erfahrung, dass auch da nicht immer alles reibungslos abläuft. Auch in einer christlichen Gemeinde kann nicht jeder machen, was er will. Auch da gibt es Regeln und Grenzen, die eingehalten werden müssen, damit die Einigkeit im Geist gelebt werden kann.
Einheit in der Gemeinde kann nur Gott schenken auf der Grundlage des Wortes Gottes. Wo Brüder einträchtig beieinander wohnen, wächst Frucht des Geistes. In der Mitte der Gemeinde steht der Herr Jesus. Er der Meister, wir die Brüder. Menschen können die Einheit der Gemeinde nicht erzwingen. Parolen, wie "wir schaffen das schon!" sind reines Wunschdenken. Wir schaffen es nicht.
Auch eine christliche Gemeinde ist begrenzt. Es gibt von Gott gesetzte Grenzen. Christen sollen nicht mit der Welt zusammengejocht sein. Gemeinde und Welt sind Gegensätze, die nicht vermischt werden dürfen. Weltförmige Gemeinde verliert ihre Vollmacht. Wenn die Welt in die Gemeinde geholt wird, verschwindet die Leuchtkraft. Eine solche Gemeinde hat keinen Kompass mehr und verfehlt das Ziel. Die Gemeinde muss Christus in ihrer Mitte haben.
Der alte Mann weiß, wenn eine christliche Gemeinde wachsen will, darf sie weder die Hemmschwelle zur Welt niedriger noch den schmalen Weg breiter machen. Sonst kann es sein, dass eine solche Gemeinde zwar zahlenmäßig wächst, aber geistlich verwildert. Sie wird bald am Ende ihrer Kräfte sein. Wenn besucherfreundliche Plaudereien, Anspiele und fetzige Musik den Gottesdienst bestimmen, wird der Herr Jesus an den Rand gedrängt. Seichte Verkündigung bringt laue Christen hervor. Bald wird sich eine solche Gemeinde nicht mehr für tiefergehende Bibelarbeiten interessieren.
Schon Spurgeon fragte zu seiner Zeit: "Wollen wir Schafe weiden oder Böcke belustigen?" Der alte Mann fragt sich, ob wir das biblische Erbe der Väter über Bord werfen und lieber Neues wagen sollen? Waren denn die Väter im Glauben Narren, weil sie der Bibel glaubten und nach der Bibel lebten?
Der alte Mann sieht die Gefahr, dass man sich einbildet, das Christentum beginne erst heute in unserer Zeit. Erst heute habe man erkannt, was Gemeindewachstum fördert. Weltliche Marketing-Methoden werden angewandt. Der Kunde ist König. Bibel und Kreuzesnachfolge werden zweitrangig. Hauptsache die Ungläubigen und die Kirchendistanzierten besuchen unsere Gottesdienste. Treue gläubige Mitarbeiter werden aus der Gemeinde gedrängt. Gotteskinder gehen, Ungläubige kommen. Wenn in einer Gemeinde nicht mehr das biblische Evangelium verkündigt wird, ist der Tod im Topf. Wenn die Menschen nicht mehr zur Buße und Umkehr gerufen werden, bleiben sie wie sie sind. Sie sehen keine Notwendigkeit, zu glauben, weil sie ihre Verlorenheit nicht erkennen. Man hält sie bei der Stange, indem man ihnen Unterhaltung bietet. Man gibt ihnen Steine statt Lebensbrot. Man redet ihnen nach dem Mund. Da man ihnen die Wahrheit des Evangeliums nicht zumutet, werden sie auch nicht zum lebendigen Glauben kommen. Jeder kann glauben, was er will. Biblische Lehre ist Nebensache, Hauptsache die leeren Stühle sind besetzt. Eine solche Gemeinde kann zwar vielfältig und bunt sein, aber ist sie noch Gemeinde Jesu? Besteht sie aus wiedergeborenen Gotteskindern?
Der alte Mann erinnert sich an eine Jugendbibelstunde in den 60er Jahren. Ein Bruder aus dem "Westen" war auf Besuch. Sein Fazit: "Eine Jugendstunde mit fast einer Stunde Bibelarbeit wäre bei uns undenkbar. Da würde niemand mehr kommen. Spätestens nach 20 Minuten steht bei uns Tischtennis, Spiel und Spaß auf dem Programm." Was wir jungen Leute damals nicht nachvollziehen konnten, ist heute auch bei uns Alltag. Der alte Mann hat nichts gegen Sport und Spiel. Dadurch kann der Zusammenhalt untereinander gestärkt werden. Aber es gehört nicht in den Gottesdienst oder die Bibelstunde.
Das Evangelium von Jesus Christus muss allen Menschen verkündigt werden. Da gibt es keine Grenzen. "Geht hin in alle Welt!" Anders ist es, wenn man die Welt in die Gemeinde holt. Da gibt es Grenzen. Die Gemeinde Jesu stellt sich nicht dieser Welt gleich. Da ist Absonderung geboten. Viele Gemeinden sind heute grenzenlos geworden. Sie entsprechen nicht mehr dem biblischen Muster. Sie sind zu Unterhaltungszentren geworden.
Grenzen sind nötig, auch wenn sie trennen. Grenzen sind von Gott vorgesehen. Man kann eingrenzen und ausgrenzen; Grenzen einhalten und Grenzen überschreiten. Grenzen können behindern, aber auch schützen. Menschen sind begrenzt, Gott ist grenzenlos.