Der alte Mann und die alten Zöpfe
Rolf Müller
Wie kann man in der heutigen Zeit den Menschen das Evangelium nahebringen? Wie muss man es verpacken, damit es die Leute interessiert? Interessiert das biblische Evangelium eigentlich die Christen noch? Ist die Botschaft nicht vielerorts kraftlos geworden? Wie kann man das Evangelium den Leuten „schmackhaft“ machen?
Mit solchen oder ähnlichen Fragen wird der alte Mann immer wieder konfrontiert. Er hat in seinem Glaubensleben sehr viele Predigten gehört. Er hat Bibelstunden besucht und sich an Gesprächen über das Wort Gottes beteiligt. Es geschah meistens immer nach dem gleichen Muster. Grundlage war ein Bibeltext. Die Aussage des Textes wurde herausgestellt und erklärt. Dabei wurde deutlich, dass der Text in das Leben heute hineinsprach und seine Wirkkraft entfaltete. Menschen wurden im Glauben gestärkt und ermutigt.
Das hat sich in den Jahren von 1950 – 1970 bewährt. Die Besucherzahlen in den Gemeinden stiegen an. Es kamen immer wieder Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus Christus. Das Zeugnis der Christen war ansteckend. Sie setzten Zeichen in ihrer Umgebung. Und das alles trotz der „verstaubten“ Abläufe in den Versammlungen. Oder gerade deswegen?
Manches geriet im Lauf der Zeit zur Routine. Das geistliche Leben drohte in Gewohnheiten zu erstarren. Das bekümmerte viele Christen. Sie sehnten sich nach mehr geistlichem Leben in ihren Gemeinden. Sie berieten sich, wie man das bewerkstelligen könnte.
Man kam zu dem Ergebnis: Die alten Zöpfe müssen ab! Neues muss gewagt werden! Die Unzufriedenheit mit dem Zustand der Gemeinde führte zur Sehnsucht nach neuen Wegen. Welche neuen Wege genau zum erstrebten Ziel führen würden, war allerdings unklar. Man wusste nicht einmal, welches Ziel erreicht werden sollte. Man wusste nicht, wohin man gelangen würde.
Der alte Mann hält nicht viel von neuen Wegen, die nur dazu dienen sollen, das Alte hinter sich zu lassen. Man soll den Ochsen, mit dem man jahrelang erfolgreich geackert hat, nicht schlachten, bevor man einen Traktor hat. Vor allem sollte man prüfen, ob die neuen Wege biblische Wege sind.
Das Evangelium soll in die Kultur der Gegenwart umgesetzt werden. Man hat die Strategie geändert. Man will nicht mehr besucherfreundlich sein und die Welt in die Gemeinde locken, sondern die Gemeinde in die Welt bringen. Das Reich Gottes als harmonische Gemeinschaft von Menschen auf dieser Erde, mitten unter den Menschen.
Man will die Gemeinde mit der sich rapide verändernden Gesellschaft und ihrer Kultur verbinden. Diese bewusste Öffnung bringt allerdings einen ganz anderen Gemeindetypus hervor. Ist das noch Gemeinde Jesu nach biblischem Muster? Steht sie noch auf der Grundlage des Wortes Gottes? Aus welchen Quellen speist sie sich?
Die christliche Gemeinde soll ihre Angst vor Veränderungen verlieren. Sie soll sich an heutige Trends in der Gesellschaft anpassen. Sie soll kulturrelevant sein. Sie soll sich nicht von der Welt unterscheiden, sondern ein integraler Bestandteil der Gesellschaft sein. Es soll nicht mehr nach einer ewig gültigen Wahrheit gefragt werden, sondern nach der Wahrheit in einer bestimmten Situation.
Die Gemeinde der Zukunft soll keine enge Insel von Gläubigen sein, sondern die Vielfalt der Menschen als Geschenk Gottes begreifen. Die alten Zöpfe, die das Wachstum hindern, müssen abgeschnitten werden. Neue Zöpfe wachsen nach. Aber ist die Gemeinde dann noch biblische Gemeinde?
Eine biblische Gemeinde wird gelehrt und geführt durch Gottes Wort und Geist. Die Gemeinde Gottes braucht keine neuen Türen und Quellen. Das Wort Gottes ist die Tür, die der Gemeinde längst offen steht. Nur das Wort Gottes kann Glauben wecken. Das Wort Gottes ist unser einziges Licht in einer Welt der Sünde. Die Bibel scheidet ganz deutlich zwischen drinnen und draußen, zwischen Erretteten und Verlorenen.
Das Volk Gottes lebt nicht von den Kräften der Welt, sondern von einer Speise, die die Welt nicht kennt. Gemeinde Jesu buhlt nicht um die Anerkennung der Welt. Sie geht weder mit der Zeit, noch passt sie sich der Umwelt an. Die Gemeinde muss von der rings sie umgebenden Welt abgesondert sein, sonst geht sie unter. Passt sie sich an, verliert sie ihre Salzkraft. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt. (Johannes 17,14). Heute öffnet man sich bewusst auf die Gesellschaft hin.
Gott hat uns aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht gerufen (1. Petrus 2,9). Christen haben keine Gemeinschaft mit der Finsternis. Das ist, nachdem man die alten Zöpfe abgeschnitten hat, keine Selbstverständlichkeit mehr. Dieses Prinzip hat man verworfen. Das zeigt, wie tief das Volk Gottes gesunken ist. Ein Tiefschlaf hat sich über Teile der Gemeinde Jesu gesenkt.
„Prüft also, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, deckt sie vielmehr auf; denn was heimlich von ihnen getan wird, ist schändlich, auch nur zu sagen. Das alles wird aber offenbar, wenn es vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wache auf, der du schläfst und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten (Epheser 5, 10-14).
Herr, für dein Wort sei hochgepreist,
lass uns dabei verbleiben,
und gib uns deinen Heilgen Geist,
dass wir dem Worte glauben,
dasselb annehmen jederzeit,
mit Sanftmut, Ehre, Lieb und Freud
als Gottes, nicht der Menschen.
Dein Wort, o Herr, lass allweg sein
die Leuchte unsern Füßen;
erhalt es bei uns klar und rein;
hilf, dass wir draus genießen
Kraft, Rat und Trost in aller Not,
dass wir im Leben und im Tod
beständig darauf trauen.
Gott Vater, lass zu deiner Ehr
dein Wort sich weit ausbreiten,
hilf, Jesu, dass uns deine Lehr
erleuchten mög und leiten.
O Heilger Geist, dein göttlich Wort
lass in uns wirken fort und fort
Glaub, Lieb, Geduld und Hoffnung.
(David Denicke)