Der alte Mann und das Alter
Rolf Müller
Es ist schon merkwürdig. Jeder möchte alt werden, aber keiner will alt sein. Alt sein wird als etwas Unwürdiges betrachtet. Und doch kann niemand der Realität entkommen. Die Zeit vergeht, als flögen wir davon. Die Menschen sind wie das Gras. Am Morgen grünt es, am Abend ist es verdorrt.
„Die Zeit vergeht,
das Gras verwelkt.
Die Milch entsteht,
die Kuhmagd melkt.
Die Milch verdirbt.
Die Wahrheit schweigt.
Die Kuhmagd stirbt,
ein Geiger geigt. (Ringelnatz).
„Wir verbringen unsere Jahre wie ein Geschwätz. Unser Leben währt siebzig Jahre und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre; und worauf man stolz ist, das war Mühsal und Nichtigkeit, denn schnell enteilt es und wir fliegen davon.“
Der alte Mann weiß, dass seine Zeit in Gottes Händen steht. Alter ist ein Geschenk. Er ist nicht so vermessen, das Alter als sein Verdienst zu betrachten.
„Wir sehn mit Grausen ringsherum, die Leute werden alt und dumm, nur wir allein im weiten Kreise, wir bleiben jung und werden weise.“ (Eugen Roth).
Der alte Mann hat sich schon mehr oder weniger dumme Sprüche über das Alter anhören müssen. Er möchte im Folgenden einige Weisheiten und Bosheiten zum Thema Alter auflisten.
Im Prinzip ist ja alt werden bei uns erlaubt, aber es wird nicht gern gesehen/ Altern ist ein hoch interessanter Vorgang: Man denkt und denkt – plötzlich kann man sich an nichts mehr erinnern/ Manchmal merkt man erst, wenn ein Gegenstand zu Boden fällt, dass man dringend Bewegung braucht/ Das Alter hat zwei Vorteile: Die Zähne tun nicht mehr weh und man hört nicht mehr all das dumme Zeug, dass ringsum gesagt wird/ Jungsein kann jeder, aber altwerden will gelernt sein/ Nicht jeder, der graue Haare hat, ist ein Esel/ Manchmal ist es besser, zum alten Eisen zu gehören als zum neuen Blech/ Im Alter schwinden alle Sinne, nur der Eigensinn nicht/ Senioren sind jene, die auf alles eine Antwort wissen, aber von niemand gefragt werden Die sicherste Methode gegen das Altwerden ist der Schlaf am Lenkrad - und viele andere nicht ganz ernst gemeinte Sprüche.
Der alte Mann stellt fest, dass heute auf vielen Gebieten ein gewisser Jugendwahn herrscht. Auch in manchen christlichen Gemeinden gibt es eine Missachtung des Alters. Die Alten haben ausgedient, die Zukunft gehört der Jugend. Der biblische Auftrag: „Alte mit den Jungen sollen loben den Namen des Herrn!“ wird nur noch selten praktiziert. Jeder kocht sein Süppchen für sich. Man zersplittert sich in verschiedene Gruppen. Da gibt es Jugendkreis, Jugendgebetskreis, Gebetskreis, Seniorenkreis, Chor, Bibelstunde, Jugendbibelstunde, Jugendchor, Ehekreis und viele andere Kreise. Oft wird auch die Versammlung am Sonntag nur von einer bestimmten Personengruppe besucht und gestaltet. Es ist zwar e i n e Ortsgemeinde, aber die verschiedenen Glieder kennen sich kaum.
Der alte Mann versteht, wenn Junge und Alte nicht immer eines Sinnes sind. Da treten oft große Unterschiede zutage. Da gibt es gewisse Vorurteile auf beiden Seiten und unterschiedliche Interessen. Aber unter Christen muss es doch möglich sein, gemeinsam dem einen Herrn zu dienen und nachzufolgen.
Dem alten Mann ist klar, dass alte Menschen nicht immer Recht haben und junge Menschen nicht immer falsch liegen. Beide werden im Reich Gottes gebraucht. Während die Jungen mit Elan voranschreiten, kann man den Alten eine gewisse Erfahrung nicht absprechen. Wenn sich beide im Gehorsam vom Geist Gottes leiten lassen, wird Gemeinde vom Herrn gebaut. Alte mit den Jungen, nicht Alte gegen Junge.
Es gehört zur großen Weisheit Gottes, dass er die Zukunft vor uns im Dunkel lässt. Niemand weiß den Tag seines Todes, niemand weiß, wann der Herr wiederkommt. Die Klugheit eines Menschen lässt sich aus der Sorgfalt ermessen, mit der er sein Ende bedenkt.
Der alte Mann würdigt die Mühe der Väter, mit der sie ihren Glauben bekannt und in Worte gefasst haben. Heute ist das Problem vieler, die Bekenntnisse der Väter zu glauben. Der alte Mann ist überzeugt: Nicht alles, was wahr ist, steht in der Bibel, aber alles, was in der Bibel steht, ist wahr.
Die jungen Leute leiden oft weniger unter ihren Fehlern als unter der Weisheit der Alten. Das ist schade und muss nicht sein. Alter schützt vor Torheit nicht und das Christentum beginnt nicht bei null und fängt nicht erst bei den jungen Leuten von heute an. Die Alten werden früher oder später zum Herrn gehen und die Jungen werden einmal die Alten sein. Was bleibt, ist das Wort Gottes und unser Herr Jesus Christus. Dem wollen wir nachfolgen und angehören.
Der alte Mann schämt sich nicht, alt zu sein. Er sehnt sich nicht nach der Jugendzeit zurück. Er möchte nicht noch einmal zwanzig sein. Er empfindet es nicht als Kompliment, mit seinen achtzig Jahren als „junger Mann“ angeredet zu werden. Er lässt sich nicht vom herrschenden Jugendwahn anstecken. Er weiß, dass das Alter gewisse Einschränkungen mit sich bringt, die auch durch Kosmetik und den regelmäßigen Besuch eines Fitness-Studios nicht überdeckt werden können. Aber die Falten und Runzeln weichen zurück, wenn ein Lächeln sie überstrahlt.
Für Christen ist wichtig, was das Wort Gottes über das Alter sagt. Alt ist man dann, wenn man an der Vergangenheit mehr Freude als an der Zukunft hat. Für Christen sind die Beschwerden des Alters Grüße aus der Ewigkeit. Die Heimat ist nicht mehr fern. Der Weg nach Hause ist die beste Straße im ganzen Land. In der himmlischen Heimat löst sich alles Leiden in Herrlichkeit auf. Für Christen ist der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang.
„Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft.“ (Jes. 40,29).
„Bis in euer Greisenalter bin ich derselbe und bis zu eurem Ergrauen will ich euch tragen. Ich habe es getan und ich will auch fernerhin euch heben, tragen und erretten.“ (Jesaja 46,4).
Ja ich will euch tragen bis zum Alter hin.
Und ihr sollt einst sagen, dass ich gnädig bin.
Ihr sollt nicht ergrauen, ohne dass ich`s weiß,
müsst dem Vater trauen, Kinder sein als Greis.
Ist mein Wort gegeben, will ich es auch tun,
will euch milde heben. Ihr dürft stille ruhn.
Stets will ich euch tragen recht nach Retterart.
Wer sah mich versagen, wo gebetet ward?
Denkt der vor ‘gen Zeiten, wie, der Väter Schar
voller Huld zu leiten, ich am Werke war.
Denkt der frühern Jahre, wie auf eurem Pfad
euch das Wunderbare immer noch genaht.
Lasst nun euer Fragen, Hilfe ist genug.
Ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug.
(Jochen Klepper)