Der alte Mann und die falsche Toleranz
Rolf Müller
Toleranz kann eine Tugend sein. Wenn keine Grundsätze auf dem Spiel stehen, muss man nicht streiten. Toleranz erlaubt eine große Vielfalt in unwichtigen Standpunkten. Für belanglose Nebensächlichkeiten muss man nicht zum Märtyrer werden.
Dem alten Mann ist bekannt, dass Toleranz auch eine Charakterschwäche sein kann, die unentschuldbar ist. Falsche Toleranz schweigt, wenn der Name Gottes gelästert wird. Sie bleibt stumm, wenn Christus entehrt wird. Wenn die Wahrheit auf dem Spiel steht, ist ein feiges, und trügerisches Schweigen verabscheuungswürdig. Man ist zu feige, sich gegen Böses zur Wehr zu setzen. Eine Toleranz, die Betrug und Ungerechtigkeit duldet, ist Sünde.
Dem alten Mann wird manchmal vorgehalten, der Herr Jesus sei immer tolerant gewesen. Das stimmt nicht. Matthäus 23 und Offenbarung 2, 18-20 beweisen das Gegenteil. Unser Herr war, wo es angebracht war, zu scharfer Entrüstung fähig. Auch der Apostel Paulus war Bösem gegenüber alles andere als tolerant. Er hat sogar Namen genannt (1. Timotheus 1,20). Auch Johannes hat Diotrephes namentlich angeprangert (3. Johannesbrief, Vers 9). Das ist ein Verhalten, das in der heutigen Zeit als völlig unangebracht und als Verletzung der brüderlichen Liebe abgelehnt wird.
Dem alten Mann kommt es vor, als habe die heutige Gemeinde die Fähigkeit zur biblischen Intoleranz verloren. Ein betagter Gemeindeleiter gab zu bedenken: „Wir leben in einer Welt von rückgratloser Theologie, von schwammiger Moral und von Gummiüberzeugungen. Man sagt uns, was wir längst wissen in Worten, die niemand versteht.“
Die Toleranz ist so tolerant geworden, dass sie Böses toleriert. Man ist zu bequem und zu feige geworden, zu höflich und zu liebenswürdig. Man begegnet Irrlehrern in der Gemeinde mit krankhafter Freundlichkeit. Man erlaubt, dass Seelen verführt werden. Man fürchtet sich, Gefühle zu verletzen.
Der alte Mann hält diese falsche Toleranz für Sünde. Er ist traurig, wenn man die Wahrheit der Bibel nicht verteidigt. Früher starben die Gläubigen für die Wahrheit. Heute scheut man sich, den Mund aufzumachen. Unsere Sehnsucht nach Harmonie ist größer als unser Glaubenszeugnis und unser Mut. Wir möchten jede Art von Unannehmlichkeiten vermeiden. Wir schreiten nicht ein, obwohl es unsere Pflicht wäre. Wir haben Probleme, anders zu sein. Wir gehen lieber mit der Masse und schwimmen gegen den Strom. Wir stehen nicht für die Wahrheit ein. Wir haben die Fähigkeit verloren, zornig zu sein.
Der alte Mann benutzt bewusst die Wir-Form. Er nimmt sich von der Kritik nicht aus. Er sitzt nicht auf dem hohen Ross. Wir vermeiden es, entschlossen zu handeln. Manchmal sind wir durch Freundschaften blind geworden und stehen nicht gegen Unwahrheiten auf. Wir fürchten uns vor Auseinandersetzungen. Doch der Preis, den wir für den Erhalt des Friedens zahlen, ist oft zu hoch.
Dem alten Mann wird immer wieder gesagt, dass er nicht alles so kritisch sehen soll. „Es gibt ja auch viel Positives! Man kann sich doch über alles einigen! Lasst uns lieber alle eins sein! Einheit ist Pflicht, nicht Kür! Lehren trennen nur, Liebe eint!“
Das klingt zwar alles nicht schlecht. Aber was wir wirklich brauchen, ist der entschiedene Kampf für unseren Glauben. Gerade dann, wenn er von verschiedenen Seiten angegriffen und verleugnet wird. Wir wollen tolerant sein, wenn es um unwesentliche Bereiche geht. Aber wenn es um die Wahrheit Gottes geht, wollen wir uns nicht scheuen, intolerant zu sein.
Wir schämen uns der Botschaft nicht,
die fröhlich wir verkünden:
Es starb am Kreuze im Gericht
ein Heiland für die Sünden.
Er zahlte dort das Lösegeld f
ür alle Schuld der ganzen Welt.
Heil dem, der ihn zum Herrn erwählt
und gläubig ihm vertrauet.
Wir schämen uns der Botschaft nicht,
dass aller Welt erschienen
das ewge Heil, das helle Licht
in Jesus, dem wir dienen!
Verkündets nur an jedem Ort,
tragts nur durch alle Lande fort,
das große Wort, das frohe Wort,
das Wort von der Erlösung.
(Max Runge).