Oswald Chambers
Die Schule der Ernüchterung
"Jesus vertraute Sich ihnen nicht...; denn Er wusste wohl, was im Menschen war." Joh. 2,24.25
Ernüchtert sind wir, wenn das Leben für uns keinen falschen Schein mehr hat. Das Ernüchtertwerden durch eine Enttäuschung kann uns bitter und hart und lieblos machen in unserem Urteil über andere; die Ernüchterung jedoch, die von Gott kommt, bringt uns dazu, die Menschen so zu sehen, wie sie wirklich sind, und dennoch haben wir keine Bitterkeit in uns und brauchen keine kränkenden verletzenden Dinge zu sagen.
Es rühren so viele Grausamkeiten im Leben von der Tatsache her, dass wir an Illusionen kranken. Wir sind einander nicht als Tatsachen treu, nicht als das, was wir in Wirklichkeit sind; wir sind nur den Vorstellungen treu, die wir voneinander haben. Entweder finden wir an anderen Menschen alles herrlich und vortrefflich oder schlecht und erbärmlich, je nach unserer eigenen Vorstellung.
Unsere Ablehnung gegen das Ernüchtertwerden ist die Ursache eines grossen Teils all des Leides im menschlichen Leben. Es geht folgendermassen zu: Wenn wir ein menschliches Wesen liebhaben, verlangen wir die letzte Vollkommenheit und Rechtschaffenheit von ihm, und wenn uns diese Eigenschaften nicht entgegengebracht werden, sind wir grausam und rachsüchtig. Wir verlangen von einem menschlichen Wesen etwas, das es gar nicht geben kann.
Es gibt nur ein Wesen, das das letzte schmerzliche Verlangen des menschlichen Herzens stillen kann, und das ist der Herr Jesus Christus. Er weiss, dass jede Verbindung, die nicht auf der Treue gegen Ihn begründet ist, unglücklich enden wird; das ist der Grund, weshalb Er allen menschlichen Verbindungen gegenüber scheinbar so streng ist. Der Herr vertraute keinem Menschen, und dennoch war Er niemals misstrauisch, niemals bitter. Sein Vertrauen auf Gott war so vollkommen, dass Er an keinem Menschen verzweifelte. Wenn wir unser Vertrauen auf menschliche Wesen setzen, werden wir schliesslich an jedem einzelnen verzweifeln.
aus dem Andachtsbuch "Mein Äusserstes für Sein Höchstes" von Oswald Chambers, Tag 30.Juli