Verlassene Bauten, verlässliche Wege
Jer.7,4-5: Verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: „Hier ist des Herrn Tempel …“, sondern bessert euer Leben und euer Tun!
Lk.1,68.74-75: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk, … daß
wir ihm dienten unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Die Zerstörung des Tempels war für die Juden jedes Mal ein vernichtender Schlag. Was nach ihrem Verständnis ein richtiger Gottesdienst war, wurde dadurch unmöglich. Diese Sicht gilt bis heute und wird z.B. dadurch hervorgehoben, daß beim Passahfest kein Lammfleisch mehr auf den Tisch kommt, und stattdessen nur ein bloßer Knochen zur Erinnerung daliegt. „Gültige“ kath. Messen dürfen nur in einem Kirchen-Gebäude gehalten werden, in dessen Altar eine Heiligen-Reliquie eingearbeitet ist.
Luther sagte: Es ist völlig egal, wie wir die Sonntagsveranstaltung nennen. Gottesdienst muss unser Leben unter der Woche sein. Paulus sagte: Ein vernünftiger Gottesdienst ist es, wenn ihr durch Buße und Hingabe euren Lebenswandel ändert.
Mich irritiert es immer, wenn Kirchengebäude vor dem Verkauf „entwidmet“ oder sogar „entweiht“ werden müssen. Daß Christen ihre Versammlungsorte nicht mehr halten können, weil zu viele Getaufte ihr Leben oder zu viele Gemeinden sich selbst „entweiht“ haben, fällt dabei meistens keinem auf. Genau diesen Zusammenhang bespricht Jesus in Johannes 8 mit den Pharisäern. Sie sagen: „Hier ist des Herrn Tempel“, er antwortet: Aber nicht mehr lange. Aber anstatt, daß sie nun fragen: „Warum?“, antworten sie: „Wie kannst du es wagen!“.
Die Maßstäbe für Heiligkeit und Gerechtigkeit liegen nicht an den Mauern des Tempels an, sondern an seinem Innenleben. Deshalb schreibt Paulus den Korinthern auch nicht: Euer Gemeindehaus ist der Tempel Gottes; er schreibt: Ihr seid es. Und der Innen-Architekt ist nicht Bill Hybels, sondern der Heilige Geist.
Man wirft Gemeinden ja gerne vor, sie würden zu viel Wert auf Traditionen legen. Zu meinem eigenen Hintergrund als Gemeinschaftler kann ich sagen: Wir haben zu viel Wert auf Richtigkeiten gelegt. Moderne Gemeinden legen möglicherweise zu viel Wert auf „Komm so, wie du bist!“. Worauf legen der Herr der Gemeinde und der Geist, durch den er sie baut, Wert?
In den 60er Jahren kam einer der ersten türkischen Gastarbeiter in Würgendorf zum Metzger und kaufte ein Schnitzel. Auf das Schweinefleisch angesprochen, antwortete er: „Ich esse es unter dem Küchentisch, da sieht mich Allah nicht“. Mit der Formulierung „vor seinen Augen“ reißt Zacharias aber einen grundsätzlich anderen Verantwortungshorizont auf. Wir leben vor dem „El-Roy“, vor dem „Lebendigen, der mich sieht“ (1.Mo.16). Gottes väterlich-seelsorglicher Blick ist natürlich immer das Erste.
Aber wenn Jeremia vor diesen Erwählungslügen warnt, meint er damit vielleicht einen allzu schnodderigen Umgang mit Gottes Heiligkeit?
Gedanken und Auslegung von Bruder Jens Döhling 15.12.2024
15-Doehling-Verlassene Bauten - verlaessliche Wege (15.12.2024)