Trotzdem Identität
Ps.59,17: Ich will des Morgens rühmen deine Güte, denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not.
Apg.26,22: Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein
Zeuge bei Klein und Groß.
Paulus steht in Fesseln vor König Agrippa und dem Statthalter Festus und freut sich. Die Fesseln sind für ihn gar nicht das Bestimmende der Situation, seine Identität in Christus ist es, wie er am Schluss deutlich macht. Darin besteht seine Freiheit auch in Fesseln. Dadurch heben Fesseln auch die Hilfe Gottes nicht auf. Die Gewissheit dieser Hilfe bezieht er daraus, daß Gott „bis zum heutigen Tag“ geholfen hat. Hier ist er schon auf der Spur, die er in Philipper 4 formuliert: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“. Vor der Angeber-Gemeinde in Korinth hat er ja ein bisschen vom Leder gezogen. Er kann also Gottes Hilfe nicht mehr als etwas verstanden haben, das ihm „immer fröhlich, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein“ beschert; er muss sie in den notvollen Situationen gefunden und erfahren haben.
In demselben Sinn bezeugt David Gott als seinen Schutz und seine Zuflucht. Die Situation ist ein bisschen wie bei Zorro: Während Michal im Bett eine Attrappe bastelt, verschwindet David übers Dach. Von da an ist es mit Schutz und Zuflucht im äußeren Sinne für zehn Jahre Essig. Sein Leben ist zurückgeworfen auf das, was heutige Philosophen vielleicht als seine bloße Existenz bezeichnen würden.
Dieses Geworfen-sein stellt Menschen oft vor die Frage: Wer bin ich eigentlich, und was ist mein Leben? Jean-Paul Sartre und andere antworten: Nix, also iss, trink und stirb! David sagt: Ich bin ein Einwohner der Gottesburg, und seine Stärke ist mein Bergfried. Brenzlich wurde es für ihn immer nur, wenn er diese Burg verließ.
Für Paulus, heilsgeschichtlich sicher noch mehr als für David, ist äußerliches Geworfen-sein eigentlich das Gelegt-sein aus Johannes 10: „Ich habe euch in die Hand des Vaters gelegt, und mein Vater ist größer als alles“. Davids Vogelfreiheit, ebenso wie die Gefangenschaft des Paulus finden in der Hand Gottes statt. Natürlich ist da nichts Beneidenswertes dran. Aber die existentielle Frage, wer sie sind, und was ihr Leben ist, hat den entscheidenden, alles verändernden Zusatz „in Gott“.
In Gott bin ich ein in Treue Geborgener, mit Verheißungen Beschenkter, von starker Hand Getragener. Not und Fesseln greifen meine seelsorgliche Lage heftig an, sie bestimmen meine Identität aber nicht mehr. Paulus und Silas haben in Philippi nicht gesungen, weil sie in den Stock gespannt waren, sondern weil sie Jesus gehörten.
Die Hilfe, die Paulus bezeugt, ist in vielem eine äußere Hilfe durch den lebendigen Gott, sie ist aber mit Sicherheit auch immer eine seelsorgliche Hilfe durch den Geist Jesu Christi, der in uns wohnt. Der verheißene Beistand (Joh.16) hat Petrus aus dem Gefängnis und Jakobus aufs Schafott geführt, war aber immer der Beistand Jesu Christi.
Diese Hilfe bewahrt den, der Jesus gehört – mit den Augen dieser Welt gesehen - oft nicht auf nachvollziehbare Weise, aber hinterher doch so, daß Gott zu loben ist. Paulus beschreibt das auch in seinem Zeugnis als Lernprozess, der einerseits viel mit Geduld (Röm.5), andererseits viel damit zu tun hat, daß Gott „die Augen des Herzens erleuchtet“ (Eph.1).
Das Verrückteste ist für mich dann die Hochschulreife, die Paulus in diesem Lernprozess erreicht. Er schildert den Philippern ein Luxus-Problem: Entweder er kommt frei, oder er kommt zu Jesus. Wie alt muss man wohl werden, um das zu verstehen?
Gedanken und Auslegung von Bruder Jens Döhling 23.3.2025