Klarheit der Worte
Ps.119,66: Lehre mich rechtes Urteil und Erkenntnis, denn ich vertraue deinen Geboten!
2.Tim.2,23: Lass dich nicht auf Streitereien und Wortgefechte ein! Du weiß doch, daß sie nur zu Auseinandersetzungen führen.
Sind „klare Worte“ immer das, was sie zu sein vorgeben?
In Auseinandersetzungen werden sie zumeist gebraucht, um Positionen unmissverständlich zu machen. Der eigentlichen Bedeutung nach müssten sie aber eigentlich Inhalte herausstellen, die ihre Klarheit und Wahrheit schon in sich selber tragen. Hier dürfte eine der seltenen Gemeinsamkeiten zwischen der Philosophie der Aufklärung und der Verkündigung des Wortes Gottes liegen.
Das führt zwangsläufig zur Frage nach den Voraussetzungen: Sind die Quellen meiner Klarheit und Wahrheit in sich selbst klar und wahr? Für Gottes Wort gilt das immer und unbedingt, weil dessen Quelle der heilige Gott selber ist. Die ganze sinnfreie Diskussion einer „Zwei-Naturen-Lehre“ aus Gotteswort und Menschenwort ist gegenstandslos. Würde die Tatsache, daß Gottes Wort uns in menschlicher Sprache begegnet, zu seinem Charakter irgendetwas beitragen, „dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“! Aber gerade deswegen entzieht sich Gottes Wort unserem Erkennen und Urteilen, da seine Klarheit und Wahrheit nur der Geist Gottes darlegen kann. „Er wird euch in alle Wahrheit führen.“ Der Psalmist nimmt also die Haltung ein, die zu allen Zeiten dem Wort Gottes gegenüber einzig angemessen ist: Er geht bei Gottes Geist in die Lehre.
Wie anders verhält es sich da mit dem Verstand oder der Vernunft als Quellen für Klarheit und Wahrheit. Gerade der Begriff Vernunft ist hier sehr entlarvend, er kommt nämlich von Vernehmen. Vernunft ist also 1. immer subjektiv und 2. immer auf Einwirkung von außen angewiesen. Selbst wenn die Außenwelt Wahrheit in sich hat, bleiben die Fragen offen, wieviel davon in mir ankommt, und ob das, was ankommt, in mir auf angemessene Deutungsmuster trifft. Es ist also eine höchst unsichere Angelegenheit.
Und genau hier liegen auch die Fallen bei Streitereien in geistlichen Dingen, die Timotheus vermeiden soll. In den Streithähnen liegen immer dieselben Unsicherheiten, und aus den Streitereien spricht zumeist dieselbe Erkenntnis-Hybris wie aus der Behauptung: Meine Vernunft erklärt die Welt.
Es kann sein, daß der Geist Gottes Auseinandersetzung fordert. Die Gemeinde ist der Tempel des heiligen Gottes, und wahr kann nur sein, was der Offenbarung dieses Gottes entspricht. Ich denke auch nicht, daß Timotheus solche Auseinandersetzungen meiden sollte. Lehre der Erkenntnis führt in die Tiefe; Streit um Erkenntnis führt zur Zerstörung. Zerstört der Geist, der die Gemeinde baut, auch die Gemeinde? Welcher Geist ist da am Werk? Vielleicht musste deshalb die Gemeinde in Ephesus pastoral organisiert werden und konnte nicht synodal bleiben wie andere.
Bibel-Subjektivismus ist ein zentrales Problem unserer Gemeinden. „Wie verstehe ich das?“ ist das Gegenteil von „Wie hat Gott es gesagt?“. Man geht eben nicht mehr bei Gottes Geist in die Lehre, und man vertraut seinen Geboten nicht mehr. Und dann wird eine Gemeinde entweder modern wie in Korinth, und jeder kämpft für seine Wahrheit gegen die anderen. Oder sie wird postmodern, wir bauen auf Treibsand und diskutieren Gender-Fragen.
Zum Hirtendienst des Timotheus gehörte es, genau das zu vermeiden, und zwar um der Schafe willen. Wem Wasser und Weide egal sind, dem sind die Schafe egal. Dem guten Hirten sind seine Schafe aber alles andere als egal!
Gedanken und Auslegung von Bruder Jens Döhling 6.09.2024