Im Wartesaal
Ps.71,5: Du bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott, meine Hoffnung von Jugend an.
Röm.8,24-25: Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung. Denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.
Während meiner Tabor-Zeit begab es sich, daß die Frau eines älteren Tabor-Bruders Selbstmord beging. Als dieser seine Not aussprach, er könne Jesus nicht mehr sehen, antwortete ein anderer Bruder: Dann hast du einen seligmachenden Glauben, denn Jesus sagt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“.
Gab es auch in der Gemeinde in Rom die Zweifel, mit denen Petrus es später zu tun hatte – alles wie immer, nix erreicht? Oder waren es sogar schon die Vorwürfe der Jenseits-Vertröstung, wie sie im 19. Jh. die Kommunisten erhoben? In Kap. 5 hat Paulus schon deutlich gemacht, daß diese Hoffnung eigentlich das Ergreifen des Handelns Gottes ist. Gottes Handeln geht voraus, unsere Hoffnung ist darauf die Antwort.
Weihnachten ist das Gegenteil von Wellington. Eben nicht: „Ich wollte, es würde Nacht, oder die Preußen kämen“, sondern: Es war Nacht, und es kam der, der uns zu seinem Eigentum macht. Die Hoffnung auf die Erlösung hin ist die Hoffnung vom Kommen des Erlösers her.
Gerade im Ausharren oder Dulden muss die Hoffnung beweisen, daß sie Substanz hat. Deshalb schreibt Paulus in Röm 5: Bedrängnisse sind sehr gut, weil sie beweisen, wer am anderen Ende unserer Hoffnung steht. Durch Weihnachten kommt also unser Warten schon von Gottes Erfüllung her. Das Warten nimmt so die Vollkommenheit in den Blick. Und hierbei kann Paulus von einer festen Gewissheit sprechen, weil der Anfänger auch der Vollender ist (Phil.1).
Die Psalmen reden i.d.R. auf zweierlei Weise von der Hoffnung: Entweder sie hoffen von den großen Taten Gottes her, oder sie hoffen auf das Wesen Gottes hin. Asaph bezeugt in Ps.73 sogar, daß er im Heiligtum Gottes die Hoffnung erst mit den richtigen Augen zu sehen lernen musste: Es sind nicht die Augen, mit denen man auf die Umstände sieht, sondern die Augen, mit denen man auf Gott sieht.
Geduld hat im Sinne beider griechischer Begriffe, die mit Geduld übersetzt werden, ihren Ort in diesem Lernprozess – als „drunter bleiben“ und als „weite Wege gehen“. Und hier ist es wie mit Mathe: Manche Fächer werden in der Schule nicht unterrichtet, damit wir sie mögen, sondern damit wir sie lernen.
Gedanken und Auslegung von Bruder Jens Döhling 22.12.2024
16-Doehling-Im Wartesaal (Weihnachten) (22.12.2024)